Er ist über zwei Meter groß und zuständig für (fast) alles an Bord: Tobias Kammann ist Erster Offizier auf der „Essen Express“ und der erste Seemann seiner Familie.
Ein Sonntagmorgen im Juli, kurz nach acht Uhr. Die „Essen Express“ liegt vor der englischen Küste auf Reede. Die Morgensonne taucht die Brücke in ein mildes Licht. Als das Handy klingelt, hat Tobias Kammann gerade nach vier Stunden Wache an den Zweiten Offizier übergeben. Tochter Janne, vier Jahre alt, erzählt. Von Zuhause, vom Eis essen mit Oma. Ganz nah ist der Vater in diesem Moment. Ganz weit weg wird er für die nächsten gut 70 Tage fahren – durch Mittelmeer und Suezkanal. Bis nach Korea, und wieder zurück.
Seemann zu werden, genauer: Kapitän, das hatte schon sein Berufsberater vorgeschlagen – als Kammann 14 Jahre alt war. Als Kind hatte er dutzende Seefahrerromane gelesen und Briefmarken von Schiffen gesammelt. Heute denkt der Offizier schmunzelnd an die Geschichte mit dem Berufswahl-Fragebogen zurück. Der zwei Meter drei große Mann ist übrigens der erste Seemann der Familie.
Als Erster Offizier, zumal an Bord eines der größten Schiffe von Hapag-Lloyd, hat es der 35-Jährige weit nach oben geschafft. Die „Essen Express“, 366 Meter lang, ist schon seit einigen Rundreisen „sein“ Schiff. Die Liste der Aufgaben ist lang. Als „Chief Mate“ kümmert er sich um die 6.320 Container, insbesondere die 233 Reefer – dazu um Trim und Stabilität des Schiffes, Ballastwasser, Auszubildende, Instandhaltung des Decks und viel Administration. Dazu ist er zuständig für Sicherheit, Gesundheit und nicht zuletzt den Müll an Bord. Wache geht Kammann zudem, auf See acht Stunden jeden Tag. Entsprechend lang sind seine Arbeitstage. „Dass der Papierkram immer mehr zunimmt, das stört mich besonders. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen, etwas zu vergessen, eine Frist zu verpassen. Und das schafft dann eigentlich unnötige Probleme.“ Tobias Kammann, sonst immer freundlich, schaut richtig ernst, als er das sagt.
Aber diese Probleme effizient und mit großer Ruhe zu lösen, das hat der Seemann in den 13 Jahren auf See gelernt. Nach wie vor begeistert ihn die Vielseitigkeit seines Jobs an Bord. Herausforderungen nimmt er meist mit Humor: „Wo sonst darf man denn auch mal eben eine Platzwunde nähen?“ Natürlich faszinieren ihn auch die Begegnung mit der Natur, die unendlichen Sternenhimmel nachts auf dem offenen Ozean, aber auch die Launen der Natur.
Schon beim ersten Praktikum nach Abitur und Zivildienst hatte er auch andere Seiten der Seefahrt kennen gelernt. Im Winter ist er auf Nord- und Ostsee gefahren, auf einem 100-Meter-Feeder mit sieben Mann Besatzung. Obwohl die Gischt an Deck gefror und sie auch mal über eine Woche im Eis fest steckten, sagt Kammann im Rückblick: „Das hat mir einfach richtig gut gefallen“.
Auf diesem kleinen Schiff hat der Norddeutsche später seine Ausbildung zum Schiffsmechaniker durchlaufen. Schon früh durfte er dort sehr viel Verantwortung übernehmen. Auf der „Santiago Express“ bei Hapag-Lloyd kam er 2005 erstmals über die Häfen Nordeuropas hinaus in die Welt. Und jetzt Europa-Asien und zurück. Seine Frau managt derweil die Familie.
Als sie seine Tochter zur Welt brachte, hat das Schiffsmanagement von Hapag-Lloyd Tobias Kammann eine längere Elternzeit ermöglicht. Töchterchen Janne kennt es heute nicht anders, als das ihr Papi wochenlang ganz weit weg ist. Ihre ersten Schritte hat er nur auf Fotos an Bord gesehen. Aber wenn er wieder von Bord geht, dann nimmt er sich alle Zeit für die Familie – wochenlang.