Jedes Jahr im April strömen zahlreiche Besucher an die Kaikanten der Lübecker Hafen-Gesellschaft (LHG): Zum „Tag der Logistik“ öffnet die LHG ihre Anlagen für Besucher. Einheimische und Tagesgäste nehmen die Möglichkeit wahr, einen Blick auf die operativen Abläufe im Hafen zu werfen. Was macht die Faszination Hafen aus, was nehmen die Besucher mit nach Hause? Hierzu ein Bericht über die Eindrücke, die am Lübecker Skandinavienkai vermittelt wurden.
Es ist 9:30 Uhr, und eine Gruppe von rund 30 Teilnehmern unterschiedlichen Alters wartet ungeduldig darauf, dass es nun endlich losgeht. Mit dabei sind ältere Ehepaare, Hobbyfotografen, Umschüler, Geschäftsleute und politisch Engagierte. „Was wird hier eigentlich verladen, und wie geht das vor sich?“ Diese Frage steht hier am größten Terminal der LHG, dem Skandinavienkai, im Mittelpunkt. Antworten liefert Rüdiger Holtz, der hier im „Operations Center“ arbeitet. Einstieg in einen ausrangierten Linienbus, und dann erst mal die Warnwesten anlegen.
Das Programm ergibt sich praktisch wie von selbst, an jeder Ecke des Terminals gibt es Gesprächsstoff. Von der Palette mit Hilfsstoffen für den Maschinenraum der RoRo-Schiffe über blitzblanke Neufahrzeuge und S-Bahnwagen, die auf ihre Verladung warten, bis hin zu den Trailern, die aus dem Schiffsbauch gezogen und in Windeseile zur Bahnverladung am Bahn-Terminal Baltic Rail Gate gezogen werden – die Besucher erhalten hautnah Einblick in die unterschiedlichsten Facetten des Hafenlebens.
Erster Stopp ist die Lagerhalle der LHG-Tochter LDG. Im gleißenden Sonnenschein werden Paletten gezeigt, die auf sogenannte Rollcontainer gehoben und gesichert werden; und wie auf Bestellung rollt ein Stapler vorbei. Wieder hinein in den Bus, vorbei an den verschiedenartigen Anlegern, Ponton und Doppelstockrampen. Ausstieg am Anleger 6 a; hier liegt ein Schiff, das morgens wetterbedingt mit Verspätung hereinkam und nun zügig gelöscht und wieder beladen wird. „Unsere Kollegen versuchen jetzt alles, die Verspätung wieder aufzuholen; das Schiff soll ja möglichst schnell wieder in seinen Fahrplan zurückfinden“, erklärt Rüdiger Holtz.
Weiter geht die Fahrt. In Sicht kommen nun Doppelstockwaggons mit Neufahrzeugen, die gerade von LHG-Beschäftigten erklommen werden, die gleich jedes Fahrzeug einzeln die Rampe herunter und zum Vorstau fahren. „Haben Ihre Leute dann ein dickes Schlüsselbund bei sich, um die Autos zu starten?“ Nein, nur den Schlüssel des ersten Wagens; in diesem befindet sich der Schlüssel für den zweiten Wagen, im zweiten der für den dritten Wagen usw. – alles eine Frage der Organisation.
Gleich nebenan bei Baltic Rail Gate sind ganz andere Schlüsselqualifikationen gefragt. Antje Falk, Geschäftsführerin der Anlage, postiert sich vor ihren sechs zuglangen Gleisen. Seit vierzehn Jahren zieht sie hier die Fäden, Besuchergruppen zu informieren ist reine Routine für sie. Und doch wird jeder heute das Gefühl bekommen, dass die Managerin nicht nur mit Herzblut ihr tägliches Geschäft schildert, sondern auch jede Frage ernst nimmt. Von Schiffs- und Zugfahrplänen, die miteinander verzahnt sind, ist die Rede, von hohen Frequenzen und engen Ladeschlüssen, von Checkern und Wagenmeistern. „Können Sie sich hier überhaupt noch ausdehnen?“, fragt eine Besucherin und schaut sich suchend um. „Wir planen eine Verlängerung unser Gleise, 150 m in den Hafen hinein.“ Das kann „dem Hafen“ nur recht sein, denn Baltic Rail Gate ist ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Das dicht geknüpfte Abfahrtennetz ist Reedern und Spediteuren, die den Hafen frequentieren, nicht nur bekannt, sondern erfreut sich steigender Beliebtheit.
Ein letzter Blick auf die beiden Portalkräne, die im Minutentakt Trailer und Container bewegen. Antje Falk weist auf eines der Gleise. Der Zug, der wenige Stunde später zu seiner täglichen Fahrt über die Alpen ins nordöstliche Italien aufbricht, wird beladen. Verona beheimatet nicht nur „die größte Opernbühne der Welt unter freiem Himmel“, wie ein großes deutsches Nachrichtenmagazin einst befand, sondern auch ein riesiges Umschlagterminal für den intermodalen Verkehr. Sechsmal pro Woche quert ein Zug mit 30 Waggons die Alpen südwärts, ebenso oft in der Gegenrichtung. Vor den Augen der Besucher senken sich die Greifarme über einen bereitstehenden Sattelauflieger einer schwedischen Spedition und packen passgenau an den gelb markierten, verstärkten Stellen des Trailers zu. Kaum ein Ruck ist zu spüren, da schwebt der Auflieger auch schon über den in einigem Abstand verharrenden Schaulustigen, wird sanft um 90 Grad gedreht und landet ebenso behutsam nicht auf irgendeiner freien Stelle des Zuges, die dem Kranfahrer am besten gefällt, sondern genau auf dem Waggon, der im IT-System der Anlage für diese Ladeeinheit reserviert wurde. So weiß auch die Mannschaft im Empfangsbahnhof sofort, wo dieser Sattelauflieger zu finden ist, wenn die Zugmaschine des Empfängers dort morgens früh um fünf zur Abholung bereitsteht.
Die Besuchergruppe ist zufrieden. Nun noch ein kleiner Fußmarsch zum Containerplatz. Hier warten schon zwei LHG-Mitarbeiter auf ihren Einsatz. „Wir haben da mal etwas für Sie vorbereitet…“, schmunzelt Rüdiger Holtz. Schweres Gerät kommt nun zum Einsatz. Die folgende Demonstration lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Containerballett. Ein Hafenarbeiter nimmt im Gehäuse eines Reachstackers Platz und greift sich einen 45-Fuß-Container, hebt ihn hoch, fährt ihn nach vorn und wieder zurück, dann eine 360-Grad-Drehung. Holtz gibt derweil Erklärungen, spricht von Twistlocks, Gewichten und Tugmastern mit Schwanenhälsen.
Die Führung neigt sich dem Ende zu, die Gruppe besteigt wieder den Bus, da bekommt einer der Besucher plötzlich das Mikrofon in die Hand gedrückt. Der Bus hält kurz am Gefahrgutplatz. Roland Liedtke, Roland Liedtke, ehemals Leiter des Hafensicherheitsdienstes am Skandinavienkai und Fachmann für gefährliche Stoffe im Transportbereich, lässt sich nicht lange bitten und schildert kurz seine Erfahrungen aus seiner Zeit am Kai. Welchen Anteil haben sogenannte gefährliche Güter am Gesamtaufkommen, welche Kennzeichnungen gibt es, wie oft kommt es zu Auffälligkeiten? In den letzten Jahren zum Glück immer seltener. Die strengen Vorschriften wirken, jeder Transportbeteiligte hat seine Hausaufgaben gemacht. Im Fall der Fälle, zum Beispiel bei Leckagen, sorgt eine detaillierte Planung dafür, dass sofort reagiert wird und Mensch und Umwelt keinerlei Auswirkungen ausgesetzt werden.
Nach fast zwei Stunden legen die Besucher ihre Warnwesten wieder ab und machen sich auf den Heimweg. Sie haben heute viel gesehen und gehört, haben Einblick in Details bekommen, die Außenstehenden normalerweise verborgen bleiben. „Kaikantenkenner“, stand auf einer der Westen. Trifft nun voll und ganz zu auf den, der sie zwei Stunden lang getragen hat.