Viel ist in den vergangenen Wochen über die zerstörerische Kraft tropischer Wirbelstürme an den Küsten und Inseln der Karibik und der US-Südostküste berichtet worden. Wie die Hapag-Lloyd Flotte mit dieser Situation umgeht, erzählt Kapitän Henri Scheer in diesem Interview.
Kapitän Scheer, die tropischen Wirbelstürme Irma und Maria sind in den vergangenen Wochen über die Karibik und den Südosten der USA gezogen und haben dort eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Menschen verloren ihr Leben, unzählige Häuser wurden zerstört, die Infrastruktur ganzer Landstriche schwer beschädigt. Von havarierten oder in Seenot geratenen Containerschiffen im betroffenen Seegebiet hat man hingegen nichts gehört. Wie kommt’s?
Das liegt in erster Linie daran, dass wir mit unseren Schiffen diesen Stürmen ausweichen können. Diese Hurrikane entwickeln sich über einen längeren Zeitraum und ihre Zugbahn lässt sich recht zuverlässig vorausberechnen. Je nach Lage fahren unsere Kapitäne dann schneller, um gut vor dem Hurrikan zu passieren, oder sie fahren langsamer und lassen den Sturm vor ihnen passieren. Es kann aber auch passieren, dass ein Schiff Schutz suchen muss. Das ist mir 2012 passiert, als ich mit der „Norfolk Express“ von Europa kommend Baltimore an der US-Ostküste anlaufen wollte. Damals tobte sich dort gerade der Wirbelsturm Sandy aus, der ungewöhnlich groß war. Mir war nach gründlicher Bewertung der Lage klar, dass ich Baltimore zu dem geplanten Zeitpunkt nicht anlaufen konnte. Also entschied ich mich, in der Bay of Fundy westlich von Nova Scotia Schutz zu suchen. Der Umweg betrug insgesamt 1000 Seemeilen. Wenn man bedenkt, dass wir mit diesem Schiff 170 Kilogramm Treibstoff pro Seemeile verbrennen, war das eine ziemlich teure Entscheidung. Aber es war die Richtige. Die Sicherheit meiner Mannschaft, meines Schiffs und der Ladung musste Vorrang haben.
Ist es immer, wie in diesem Fall, der Kapitän, der diese Entscheidung trifft und die Verantwortung für diese trägt, oder wird Ihnen diese manchmal auch von anderen abgenommen?
Nein. Die Entscheidung liegt immer beim Kapitän. Das kann auch nicht anders sein. Dafür ist er da. Der Kapitän kann vor Ort die Lage am besten einschätzen. Er kennt sein Schiff und weiß, was er diesem zutrauen kann. Natürlich erhält er Unterstützung von Land. So erhält er über einen externen Dienstleister rund um die Uhr aktuelle Wettervorhersagen und Routenempfehlungen. Auf dieser Grundlage und dank seiner eigenen Beobachtungen und seiner Erfahrung kann der Kapitän dann die richtige Entscheidung treffen.
Welche Rolle spielt dabei Hapag-Lloyds modernes Fleet Support Center in Hamburg, in dem Sie ja derzeit einen Land-Turnus absolvieren?
Unsere Aufgabe im Fleet Support Center besteht in diesem Fall vor allem im Monitoring. Nur wenn wir etwas Ungewöhnliches beobachten, greifen wir zum Telefonhörer und rufen einen Kapitän auf See an. Es könnte ja beispielsweise sein, dass dieser aus technischen Gründen keine aktuellen Wetterberichte per Mail empfangen kann. Ich habe vor kurzem den Kapitän eines von uns gecharterten Schiffes angerufen, weil der sich doch recht nah an der Zugbahn eines Hurrikans aufhielt. Es stellt sich dann aber heraus, dass er über sämtliche Informationen verfügte und gerade den Kurswechsel einleitete. Es war also alles gut. Trotzdem ist es hilfreich, die gesamte Flotte im Blick zu haben.
Wie nah ist denn „zu nah“ an einem Hurrikan?
Von schweren tropischen Wirbelstürmen sollten unsere Schiffe sich schon 250 Seemeilen fernhalten. In diesem Abstand kann immer noch Windstärke acht herrschen. Wir wollen damit vor allem auch vermeiden, in zu hohen Seegang zu geraten. Die Wellen sollten möglichst nicht höher als sechs Meter sein. Containerschiffe sind hier wegen ihrer speziellen Rumpfform, vor allem aber wegen ihrer exponierten Ladung relativ verwundbar. Wenn über das Vorschiff eines Tankers oder eines Bulkers eine große Welle rübergeht resultiert das in der Regel nicht in Ladungsschäden. Dieses Risiko ist bei einem Containerschiff ungleich höher da die Ladung exponiert steht. Das ist ein Szenario, das man eigentlich unbedingt vermeiden will. Deswegen fahren wir im Zweifel lieber etwas vorsichtiger.
Wäre es nicht eine Option, vor aufziehenden Stürmen in einem Hafen Zuflucht zu suchen?
Nein, für sehr große Schiffe gibt es im Sturm keinen „sicheren Hafen“. Dort sind sie den Naturgewalten ausgeliefert, ohne manövrieren zu können. Das Risiko, das Schiff und auch die wertvollen Hafenanlagen zu beschädigen oder zu zerstören, ist hoch. Deswegen fordern einige Häfen mit bedeutender Infrastruktur die Schiffe sogar auf, den Hafen vor dem Sturm zu verlassen. Und es stimmt: der sicherste Ort für ein Containerschiff bei Sturm ist die offene See. Dort können wir dem schlimmsten Wetter ausweichen und das Schiff so zu Wind und Welle positionieren, das es möglichst wenig exponiert ist.
Wie bereitet eine Crew sich und das Schiff auf einen Sturm vor? Wie ist das Leben an Bord unter diesen Bedingungen?
Die Ladung ist grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt sicher gelascht. Da sind also keine besonderen Vorkehrungen nötig. Im Aufenthaltsbereich der Besatzung ist das manchmal anders. Gerade auf den sehr großen Schiffen, die sich in der Regel weniger bewegen wird das manchmal mit der Zeit vergessen. Wenn ich weiß, dass schlechtes Wetter im Anzug ist, mache ich persönlich deshalb im Eingang zur Messe immer einen Aushang „Bad Weather Notice“. So steigt bei der Crew die Wahrnehmung und sie prüfen in ihren Kammern und in ihrem Arbeitsbereich nochmal ob alles gut gesichert ist, sodass keine Laptops oder Stühle durch die Gegend fliegen können. Manchmal geht es auch um Kleinigkeiten, die früher auf den kleineren Schiffen noch selbstverständlich waren – zum Beispiel das Tischtuch anzufeuchten damit Teller und Besteck bei Seegang nicht verrutschen.
Wenn das Schiff dann ins Rollen kommt, verändert sich schon die Stimmung an Bord. Für Geist und Körper ist das anstrengend. Selbst wer nicht seekrank wird – ich bleibe davon gottseidank verschont – leidet oft. Anstrengend ist vor allem, dass man kaum noch entspannt schlafen kann. Man liegt dann ein bisschen wie die Maikäfer in der Koje und versucht, sich irgendwie festzukeilen. Erlebt man das zehn Tage am Stück kann sich jeder vorstellen dass das belastet. Da ist man am Ende echt kaputt und froh, wenn das Schiff im Hafen liegt und sich nicht mehr bewegt.
Die schweren Hurrikane haben in den vergangenen Wochen in den Medien Schlagzeilen gemacht. Aber wie ungewöhnlich ist eigentlich diese Häufung schwerster Stürme?
Im betroffenen Seegebiet ist derzeit Hurrikan-Saison, wie praktisch in jedem Jahr. Das ist ein sich periodisch wiederholendes Phänomen, wie in Nordeuropa der Wintereinbruch, auf das wir uns gut einstellen können. Die Zerstörungskraft einiger Wirbelstürme in diesem Jahr war jedoch besonders stark.