Hapag-Lloyd-Kapitän Siegfried Schmerer – Ein halbes Jahrhundert auf See

Bereits als kleiner Junge wollte Siegfried Schmerer Kapitän werden. Später, als Matrose auf einem Küstenmotorschiff, plagte ihn die Seekrankheit. Er dachte ans Aufhören. Aber er machte weiter und arbeitete sich schließlich hoch, bis ganz oben auf die Brücke. Nach einem halben Jahrhundert auf See, wird Kapitän Siegfried Schmerer im September auf der „Colombo Express“ seinen letzten Einsatz antreten.

Manchmal sieht man die großen Veränderungen, die sich in seinen Jahrzehnten als Seemann vollzogen, erst mit etwas Abstand – zum Beispiel die Entwicklung von Hongkong. Wenn Siegfried Schmerer etwa beim Landgang mit der Seilbahn die gut 500 Meter hoch auf den Victoria Peak fährt, genießt der Kapitän die Stille hoch über der Sieben-Millionen-Einwohner-Metropole. Schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts machte er mit der „Mosel Express“ in der ehemaligen Kronkolonie fest. Damals lebten hier noch nicht einmal halb so viel Menschen. Gerade mal zwei Containerbrücken gab es bei seinem ersten Anlauf in Hongkong. Drei Tage lag das 1.100-TEU-Schiff hier. Heute sind es oft nur Stunden.

Im September wird Siegfried Schmerer zum letzten Mal als Kapitän an Bord eines Containerschiffes gehen. Von New York aus wird er dann die „Colombo Express“ (8.750 TEU) über den Atlantik zurück nach Hamburg fahren, um dort die Brücke für immer zu verlassen. Dann endet seine Ära als Kapitän genau dort wo sie als junger Matrose begonnen hatte.

Foto: Hapag-Lloyd

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Im September wird Kapitän Siegfried seinen letzten Einsatz Schmerer auf der „Colombo Express“ antreten.

Die Globalisierung, die Containerisierung, das rasante Wachstums Asiens: Der 65-Jährige hat all das ganz nah miterlebt von Bord seiner Schiffe aus – in 49 Jahren Seefahrt, die jetzt zu Ende gehen. Über fast fünf Jahrzehnte, vom kleinen Küstenmotorschiff bis zu den Containerriesen heute, vom Stückgut zur stählernen Kiste, die dieses Jahr 60 Jahre alt wurde, hat er die Herausforderungen gemeistert, die sich ihm stellten. Unwetter, schwere Maschinenschäden auf dem offenen Meer, lange Fahrten über weite Ozeane: In anderthalb Jahrzehnten als Kapitän brachte er stets sein Schiff, seine Crew und die Ladung sicher in den Hafen. Dabei geholfen haben ihm auch seine Bescheidenheit, sein trockener Humor und seine unerschütterlich erscheinende Ruhe.

Zur Seefahrt zog es Schmerer, weil ihn wie viele der Beruf des Kapitäns faszinierte. Als kleiner Junge hatte er schon in der Reeder-Zeitschrift „Kehrwieder“ geschmökert, die es in seiner Heimat, fernab der See, zu lesen gab. In knapp 25 Jahren arbeitete er sich dann hoch, bis ganz oben auf die Brücke. Knoten spleißen, pullen, die Bedeutung der Flaggen und wie ein Kompass funktioniert, das lernte der damals 16-Jährige an der Seemannsschule in Hamburg-Blankenese. Für den Matrosenbrief ging er dann auf dem Küstenmotorschiff „Nanna“ (399 Bruttoregistertonnen) auf seine erste Fahrt. Acht Mann an Bord, immer über Nord- und Ostsee, 20 Monate lang. Und einen plagte die Seekrankheit: Siegfried Schmerer. „Ich wollte aufhören, aber meine Eltern sagten mir: Das bringst Du zu Ende.“

Foto: Hapag-Lloyd

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Sein erstes Schiff als Kapitän war im Jahr 2000 die „Bonn Express“ mit 2.803 TEU – hier im Modell zusehen.

Schmerer hörte auf die Eltern – und bewarb sich 1969 bei der Hapag. Seekrank wurde er auch später noch ab und zu, seit 20 Jahren aber ist Ruhe. Als Leichtmatrose fuhr er mit der „Dresden“, mit 32 Ladebäumen damals das größte Stückgutschiff der Welt, bis nach Australien. Er war der erste, der dort die Cousine der Mutter besuchte. Sage und schreibe zwei Wochen lag die „Dresden“ in Melbourne im Hafen.

Sein erstes Schiff als Kapitän war im Jahr 2000 die „Bonn Express“ mit 2.803 TEU – so, wie für viele Kapitäne von Hapag-Lloyd. Fünf weitere Kommandos folgten. „Ich hatte immer Glück mit meinen Crews“, sagt Schmerer im Rückblick. Der Kapitän blieb stets lange an Bord “seines” Schiffes, sechs Jahre etwa auf der damaligen „Shanghai Express“ (heute „Yantian Express“): „Man kennt sich aus, jedes Schiff ist anders. Geradeaus fahren kann jeder, aber beim Manövrieren hilft die Erfahrung.“ Diese Erfahrung zahlte sich etwa aus, als der Kapitän sein Containerschiff mit Schäden in der Maschine vom Pazifik durch den Panamakanal und über den Atlantik dennoch sicher heim nach Bremerhaven brachte.

Die größte Veränderung, sagt, Schmerer, sei die heutige Wetter-Navigation. „Früher sind wir rausgefahren und wussten kaum, was uns erwartet.“ 20-Meter-Wellen hat er auf einem 135-Meter-Frachter 1978 bei den Azoren erlebt, über anderthalb Tage. „Da fühlt man sich nicht gut, aber es bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Und sogar schlafen kannst Du.“ Heute fährt er um solche Unwetter herum. Er weiß dank der Technik Tage vorher, wo es stürmen wird. „Ich fahre auf fünf Minuten pünktlich, im Takt des Liniendienstes – wie ein Busfahrer.“

Natürlich schwingt ein bisschen Wehmut mit, wenn sich der Kapitän an Zeiten erinnert, als etwa noch keine Klimaanlage surrte. Die Crew hockte auf See oft bis spät nachts an Deck, weil es in den Kammern einfach zu heiß war. „Einmal die Woche haben wir Shantys gesungen.“ Oder auf der Luke gesessen und Filme geguckt. Als Leinwand reichte ein Betttuch, während das Schiff nachts durch irgendeinen südlichen Ozean fuhr. In Casablanca lagen sie einmal so lang am Kai, dass sie den Zucker, den das Schiff geladen hatte, schon auf dem Basar im Angebot sahen.

Und heute? Es gibt ein paar Dinge, von denen weiß Schmerer, dass sie ihm nicht fehlen werden. Das Ausfüllen von Formularen etwa. Oder die ständigen Geräusche an Bord. Denn für einen Seemann, zumal einen so erfahrenen wie den 65-Jährigen, ist es nur ganz selten still auf einem Schiff. Er hört jedes Geräusch, und immer fragt er sich: Klingt es richtig, läuft alles rund? „Manche Geräusche, sagt Schmerer „sitzen sogar nachts in deinem Kissen und du kriegst sie nicht raus.“

Und sein letzter Einsatz, den letzten Dienst als Kapitän eines Containerriesen? Darüber wollte er sich lieber nicht viele Gedanken machen. Siegfried Schmerer fürchtet allerdings ein bisschen, dass seine Crew vielleicht etwas vorbereitet zum Abschied. “Und wahrscheinlich hab ich einen ziemlich dicken Kloß im Hals, wenn ich das letzte Mal die Gangway runter gehe.“

In einem ist sich Kapitän Schmerer sicher: „Ich werde auch diese Reise vernünftig zu Ende bringen – wie alle anderen zuvor.“ Und vielleicht macht er später auch mal eine Kreuzfahrt, seiner Frau zuliebe. Auch wenn es kaum einen Hafen der Welt gibt, in den er noch nicht gefahren ist.