Um herauszufinden, wie Kunden ticken und wohin der Kurs einer Firma führen soll, engagieren viele von ihnen für teures Geld Unternehmensberater, das ist im Kreuzfahrtbusiness nicht anders als in anderen Branchen. Es gibt jedoch noch einen anderen Weg der Marktforschung. Er ist kostenlos, dauert keine Viertelstunde, und die Ergebnisse sind verblüffend: Man fragt Google, die mit Abstand am weitesten verbreitete Online-Suchmaschine der Welt. Also Google, wonach suchen die Leute bei dir, wenn sie sich für Kreuzfahrten interessieren?
Versuch Nr. 1: Wir geben „Kreuzfahrten für“ ein. Und das Ergebnis? Wer auf der deutschen Google-Seite „Kreuzfahrten für“ eintippt, erhält als meistgesuchte Begriffe „Kreuzfahrten für junge Leute“ (1.), „Kreuzfahrten für Familien“ (2.) und „Kreuzfahrten für Singles“ (3.). Ersteres ist insofern bemerkenswert, als viele Reedereien nun schon seit 20 Jahren nicht müde werden zu betonen, dass Kreuzfahrten eben nicht nur für ältere Ehepaare (und deren Eltern) geeignet sind, sondern für Jung und Alt gleichermaßen. Der Effekt all dieser Werbung? Offenbar höchst begrenzt. Das gleiche gilt für Kreuzfahrten für Familien, denn offenbar ist auch hier nicht nur die Nachfrage groß, sondern auch die Unsicherheit darüber, welche Anbieter genau und unter welchen Bedingungen einen familienfreundlichen Urlaub auf See anbieten. Bleiben „Kreuzfahrten für Singles“. Auch diese sind für viele Reedereien immer noch ein rotes Tuch, gehen doch bei Alleinbelegung einer Doppelkabine wertvolle Einnahmen durch die nicht vorhandene zweite Person verloren. Zwar haben einige Reedereien mittlerweile damit begonnen, sowohl Neubauten als auch existierende Tonnage mit Einzelkabinen aus- bzw. nachzurüsten, doch ein flächendeckendes oder gar marktübergreifendes Phänomen ist dies deswegen noch lange nicht. Wenn die drei ersten Treffer allein dieser Google-Suche also die Wünsche der Mehrheit aller Internet-affinen Kreuzfahrtinteressenten in Deutschland abbilden, dann geht das aktuelle Angebot jedenfalls fast komplett an der Nachfrage vorbei. Selbst Marktführer AIDA Cruises hat auf der neuen AIDAPrima keine Single-Kabinen vorgesehen, und für die jüngsten Schiffe von TUI Cruises (MEIN SCHIFF 3 und 4) gilt dasselbe.
Versuch Nr. 2: „Kreuzfahrten ohne“. Auch hier spricht die Trefferliste Bände, denn vorne liegen „Kreuzfahrten ohne Einzelkabinenzuschlag“ (1.) und „Kreuzfahrten ohne Einzelzuschlag“ (2.), gefolgt von „Kreuzfahrten ohne Flug“ (3.) und „Kreuzfahrten ohne Kleiderordnung“ (4.). Reisewillige Singles tauchen also auch hier wieder ganz weit oben auf, ihre Suchbemühungen im Internet müssen also intensiv sein. Die Suche nach „Kreuzfahrten ohne Flug“ überrascht da schon weniger, zumindest in Zeiten, in denen selbst ehemalige Billigflieger längst nicht mehr wirklich billig sind und ein dreistündiger Flug über die Alpen schon mal teurer sein kann als die komplette Kreuzfahrt. Und, man siehe und staune: Die Leute suchen auch nach „Kreuzfahrten ohne Kleiderordnung“. Die gibt es, natürlich, aber auch dies hat sich offenbar noch nicht wirklich herumgesprochen. Dafür schrecken Katalog-Textzeilen wie diese wohl allzu oft eher ab: „Wir empfehlen unseren Gästen, eine breit gefächerte Garderobe einzupacken – angefangen von gemütlicher, bequemer Kleidung für den Aufenthalt an Bord tagsüber und für Ausflüge (für die Besichtigung religiöser Stätten wird angemessene Kleidung – lange Hosen für Herren, bedeckte Kleidung und Schal für Damen – erwartet) bis hin zu festlicher Garderobe für den Gala-Abend (bitte beachten Sie, dass auf einer Kreuzfahrt von 7 Nächten zwei Gala-Abende stattfinden).“ So nachzulesen bei einer immerhin guten europäischen Mittelklasse-Reederei. Gewiss, Kreuzfahrten haben sich gewandelt in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Kreuzfahrten ohne Einzelkabinenzuschlag und ohne Kleiderordnung sind jedoch noch immer Utopie, allen neuen Schiffen und Marketingbemühungen der Reedereien zum Trotz.
Auch die Google-Suche nach „Kreuzfahrt nicht“ führt zu interessanten Treffern. Hier steht die Sorge darüber ganz oben, was passiert wenn man eine Kreuzfahrt nicht antritt („Kreuzfahrt nicht antreten“), dicht gefolgt jedoch von einer ominösen Furcht vor dem Essen an Bord: „Kreuzfahrt nicht zunehmen“ ist nämlich die zweithäufigste Suchkombination in dieser Hinsicht, noch vor „Kreuzfahrt nicht vergessen“. Was nützt es also, wenn alle Reedereien preisen, wie gut und opulent und vielfältig das Essen an Bord ihrer Schiffe ist, wenn die größte aller Sorgen die ist, nur ja nicht zuzunehmen auf See? Wenn das mal nicht nach mehr Obst und Gemüse, nach strengeren Restaurant-Schließzeiten und mehr sportlichen Betätigungsmöglichkeiten an Bord schreit!
Kehren wir den Spieß jedoch einmal um. Worauf möchten unsere Google-Passagiere auf einer Kreuzfahrt am allerwenigsten verzichten? Wir geben also „Kreuzfahrten mit“ ein. Und siehe da: Gleich nach „Kreuzfahrten mit Flug“ kommt „Kreuzfahrten mit Hund“. Kreuzfahrten mit Hund??? Selbst die strengen Gesundheits- und Hygienestandards, welche die Reedereien heutzutage einhalten müssen, können ja schon nicht verhindern, dass hier und da ein Noro- oder anderer Virus an Bord ausbricht. Das Mitbringen von Haustieren auf internationalen Kreuzfahrten ist also allein aus diesen Gründen schon undenkbar und in den internationalen Bestimmungen daher auch gar nicht vorgesehen. Es gibt jedoch Ausnahmen: Auf den Atlantiküberfahrten der QUEEN MARY 2 können Hunde und Katzen befördert werden, wenn auch in Zwingern. Und auch einige kleinere amerikanische Reedereien erlauben dies, solange kein ausländischer Hafen angelaufen wird. Ebenso lassen einige Reedereien Blindenhunde, andere „Service Animals“ und „emotional dogs“ zu. Für das Gros der Kreuzfahrten gilt jedoch: „Dogs not allowed“.
Doch wohin soll die Reise eigentlich gehen? Da lässt allein die deutsche Grammatik verschiedene Wege zu, zum Ziel zu kommen, starten wir jedoch mit „Kreuzfahrten nach“. Die beliebtesten Kreuzfahrtziele der Deutschen sind ja hinlänglich bekannt: Norwegen, Italien, Großbritannien z.B. Doch weit gefehlt! Hauptsuchbegriff Nr. 1 ist „Island“! Gefolgt von New York, was ebenso sonderbar ist, weil die Schiffsreise nach New York genaugenommen keine Kreuzfahrt, sondern höchstens eine „ausgeschmückte“ Atlantiküberquerung ist. Und Platz 3? Dubai. Spiegelt dies bereits die Tatsache wieder, dass infolge diverser Nahost- und Nordafrikakrisen alle Mittelkreuzfahrten inzwischen mehr oder weniger dieselben Häfen anlaufen, die mittlerweile jeder schon einmal gesehen hat? Oder gibt es unter den deutschen Kreuzfahrtgästen vielmehr tatsächlich eine heimliche Sehnsucht nach Wüsten, Kamelen, Wolkenkratzern und unbändiger Hitze? Mit letzterer zumindest kann es so weit auch wieder nicht her sein, denn gleich nach Dubai kommt schon Spitzbergen als Suchbegriff, erst an fünfter Stelle dann England. Wenn man Google trauen darf, zieht es die Leute also mitnichten in erster Linie zu den norwegischen Fjorden oder ins Mittelmeer. Sondern entweder noch höher nach Norden in die arktische Kälte. Oder aber ins Rote Meer und in den Persischen Golf, wo es noch heißer ist als in Barcelona oder Neapel.
Ein ähnliches Bild ergibt die Suche nach „Kreuzfahrten in die“. Nicht in die Nord- oder Ostsee soll es hier gehen, sondern entweder in die warmen Gefilde der Karibik (1.) und der Südsee (4.) oder aber in die Polarregionen der Arktis (2.) bzw. Antarktis (3.). Erst die Google-Suche nach „Kreuzfahrten ins“ führt uns zurück auf vertrautes Terrain: Hier liegen „Kreuzfahrten ins Baltikum“ ganz vorne, gefolgt von „Kreuzfahrten ins Östliche Mittelmeer“. Interessanterweise sind genau dies zwei Reviere, aus denen die großen Reedereien zuletzt eher Tonnage abgezogen haben als neue in Dienst gestellt. Aus der Ostsee, weil dort seit 2015 neue strenge Emissionsobergrenzen gelten, die nur modernste Schiffe einhalten können, und aus dem Östlichen Mittelmeer, weil dort mit Venedig ein beliebter Starthafen und mit Israel und Ägypten gleich zwei wichtige Destinationen weggefallen sind.
A propos Starthafen – wo darf die Reise denn beginnen, wenn wir uns nach den deutschen Google-Kreuzfahrern richten? Immerhin sind ja Häfen wie Amsterdam und Kopenhagen mittlerweile für manche fast einfacher zu erreichen als die neuen Kreuzfahrt-Terminals in Hamburg (Steinwerder) oder Kiel (Ostuferhafen). Hier jedoch ergibt die Suche das erwartete Bild: Am meisten Treffer bekommen „Kreuzfahrten ab Hamburg“, gefolgt von „Kreuzfahrten ab Kiel“. Noch vor Warnemünde (5.) liegt allerdings Miami, was ja im Vergleich zu den drei anderen Häfen nicht wirklich „um die Ecke“ liegt. Auch diese Suche war also zumindest für eine Überraschung gut.
Und das Fazit? Natürlich ist so eine Google-Suche in keinster Weise repräsentativ, und vielleicht drückt sie am Ende auch nur die Hilflosigkeit einer Minderheit aus, die mit dem Produkt „Kreuzfahrt“ eben nicht schon längst bestens vertraut ist. Selbst dann ist das Ergebnis jedoch höchst bemerkenswert, weil es die Deutung zulässt, dass im Internet nach Produkten gesucht wird, welche die Kreuzfahrt-Branche aktuell entweder kaum anbietet oder offenbar nur unzureichend kommuniziert. Die Möglichkeit, alleine zu reisen z.B. oder zusammen mit der Familie. Oder die Chance, einfach mal Häfen zu sehen, die nicht bereits jeden Tag schon von fünf anderen großen Schiffen angelaufen werden. Wenn wir der „Schwarmintelligenz“ von Google glauben dürfen, möchte Frau Mustermann jedenfalls gerne einmal alleine mit dem Schiff verreisen. Dabei keine Kleiderordnung einhalten müssen und wenn möglich auch nicht zunehmen. Ihren Fiffi will sie übrigens auch mitnehmen. Und wohin? Am besten nach Island. Oder nach Dubai. Auf jeden Fall von einem deutschen Hafen aus. Verstanden, liebe Reedereien? 😉
(Gastautor: Kai Ortel)