Eine realitätsnahe Computersimulation der Unglücksfahrt auf dem Rhein am 13. Januar 2011 konnte entscheidend zur Analyse der Ursachen für das schwere Schiffsunglück beitragen
Eine vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eingesetzte interdisziplinäre Expertengruppe hat den Ablauf der Havarie des Tankmotorschiffes (TMS) „Waldhof“ am 13. Januar 2011 auf dem Mittelrhein nahe der Loreley eingehend untersucht und konnte die Ursachen für das schwere Schiffsunglück in zweijähriger Arbeit im Detail aufklären. Auf Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse empfiehlt die Expertengruppe in ihrem Bericht die Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen, um künftig derart schweren und folgenreichen Unfällen vorzubeugen.
Wesentliche Ursache für das Kentern des TMS Waldhof kurz unterhalb des sogenannten Bettecks bei Rhein-km 553,75 war nach Erkenntnissen der Expertengruppe eine nur teilweise Befüllung der sieben Ladetanks. Dadurch verlor das Schiff bei seiner Fahrt jenseits der Hochwassermarke I und den damit einhergehenden hohen Strömungsgeschwindigkeiten seine Schwimmstabilität.
Nach der Havarie trieb die „Waldhof“ kieloben etwa 2 km unkontrolliert stromabwärts. Dabei kollidierte sie mit einem zu Berg fahrenden Tankmotorschiff und blieb schließlich bei Rhein-km 555,33 am rechten Ufer auf der Backbordseite liegen. Das Unglück forderte ein Menschenleben. Ein weiteres Besatzungsmitglied wird seither vermisst. Die Bergung des Schiffes und seiner Ladung – 2.378 Tonnen konzentrierte Schwefelsäure – nahm 32 Tage in Anspruch. In dieser Zeit war der Rhein in Höhe der Unfallstelle für den Schiffsverkehr zum Teil vollständig gesperrt.
Zum Havariezeitpunkt erfüllte das TMS Waldhof aufgrund der falschen Ladungsverteilung weder die vorgeschriebenen Stabilitätskriterien nach dem Europäischen Übereinkommen über die Beförderung gefährlicher Güter auf dem Rhein (ADNR 2003 und ADN 2011) noch die allgemeine Stabilitätsvorschrift nach § 1.07 Nr. 3 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung.
Beweisführung mit dem Schiffsführungssimulator
Aufgrund der Komplexität des Unfalls und der weit reichenden Havariefolgen wurde die Unglücksfahrt des TMS Waldhof mit dem Schiffsführungssimulator der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in Karlsruhe nachgestellt. In der dreidimensionalen hydrodynamisch-numerischen Modellierung (3D-HN-Modellierung) ist erkennbar, dass etwa schon bei Rhein-km 553,7 innerhalb der Fahrrinne Strömungen auf die zu Tal fahrende Waldhof mit einem krängenden Moment einwirken und das Schiff in Richtung Steuerbord kippen. Wenig später weisen diese krängenden Rollmomente ein Maximum auf und lassen das Tankmotorschiff bei Rhein-km 553,75 um 180 Grad kentern.
Die Unfalluntersuchung hat keine belastenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bei der „Waldhof“ Bau- oder Ausrüstungsmängel, technische Defekte, Ausfälle der Maschinen- oder Ruderanlage, Leckagen oder nautische Fahrfehler der Schiffsführung vorgelegen hätten.
Neben der Analyse der Unfallursachen ging es der Expertengruppe auch um die Frage, welche Konsequenzen aus dem Unfall gezogen werden müssen, um ähnliche Schiffsunglücke künftig zu vermeiden. Unter anderem schlagen die Experten vor, für die Schifffahrt auf dem Rhein die Ausrüstung mit AIS, einem über Funk vermittelten automatischen Identifikationssystems, und dessen Nutzung verpflichtend vorzuschreiben;
das TMS Waldhof hatte keine AIS-Ausrüstung. Auch schlägt die Expertengruppe in ihrem Bericht vor, dass an den Mittelrhein-Gefahrenstellen „Betteck“, „Bankeck“ und „Tauberwerth“ ab Erreichen der Hochwassermarke I für große Binnenschiffe und Schiffsverbände ein Begegnungsverbot eingeführt wird.
Der vollständige Unfalluntersuchungsbericht ist im Internet unter www.elwis.de, dem Elektronischen Wasserstraßen-Informations-Service (ELWIS) der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes als Download eingestellt.
Die vom BMVBS eingesetzte interdisziplinäre Expertengruppe zur Aufklärung des Ablaufs und der Ursachen der Havarie des TMS Waldhof umfasste Fachleute aus der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der Berufsgenossenschaft für Verkehr und Transportwirtschaft sowie der Fachstelle der WSV für Verkehrstechniken.