Auch für Jugendliche haben moderne Kreuzfahrtschiffe allerhand zu bieten. An ihre zunehmende Selbstständigkeit muss man sich jedoch als Eltern auch an Bord zuweilen erst noch gewöhnen.
Kreuzfahrten mit Kindern sind toll. Für die lieben Kleinen ist es ein Abenteuer, die Eltern wissen sie im Zweifel in guter Obhut, und auch unter der Besatzung findet sich selten jemand, dem ein Nachwuchs-Kreuzfahrer kein Lächeln abgewinnt. Doch was, wenn die Kinder plötzlich pubertieren? Sind sie dann immer noch kreuzfahrt-tauglich? Ein Erfahrungsbericht.
„Die Kommunikation mit dem Pubertier ist auf ein Mindestmaß reduziert, es spricht wenig, dafür müffelt und chillt es ausgiebig.“ Schreibt Jan Weiler in seinen Bestsellern über die Gattung Pubertier, von welcher der Autor („Maria, ihm schmeckt’s nicht!“) gleich zwei zu Hause hat. Doch wie verhält es sich mit ihnen auf einer Kreuzfahrt, jener einerseits trendigen und aufregenden, andererseits aber auch höchst starren und ökologisch nicht allzu korrekten Urlaubsform? Wir haben es ausprobiert. Die Terminologie des geschätzten Kollegen Weiler übernehme ich hier der Einfachheit halber, er möge mir dies verzeihen, sollte er dies lesen.
Mein Pubertier ist 15, männlich, hat mich an Körperlänge bald ein- und in Sachen Schuhgröße längst überholt, ernährt sich bewundernswert konsequent vegetarisch und ist ansonsten, jedenfalls soweit ich als möglicherweise ziemlich weltfremder und höchst uncooler Vater dies beurteilen kann, ein typischer Vertreter seiner Art. In der Schule hat es mein Pubertier bis in die Oberstufe des örtlichen Gymnasiums geschafft und demzufolge in den vergangenen 15 Jahren einige Grundfertigkeiten erlangt, auf diesem Planeten mehr oder weniger sicher zurecht zu kommen. Hierzu gehörte im Vorfeld unserer mittlerweile 17. gemeinsamen Kreuzfahrt auch das weitgehend selbständige Packen seiner Reisetasche.
Dumm nur, dass diese im Gegensatz zu den Gepäckstücken der restlichen Familie nicht vor der Kabinentür steht, als wir an Bord kommen. Und dies auch drei Stunden später noch nicht tut. Stattdessen finden wir sie tief unten auf Deck 2 wieder, im Gepäckraum. „To be inspected“ steht auf einem Schild an besagter Tasche, wobei die genauere Untersuchung durch die Crew ergeben hat, dass das Pubertier darin eine Mehrfachsteckdose mitführt. Schließlich wollen Handy, iPod, Nintendo, Kamera und Powerbank auch immer schön mit Strom versorgt sein. Dass auf einem Schiff wie unserer COSTA PACIFICA ganz schnell die Lichter ausgehen, wenn das jeder machen würde, hat unser Pubertier leider nicht bedacht. Und so verbleibt besagtes Reise-Utensil für den Rest der Kreuzfahrt in den Katakomben des Schiffes. Die Reisetasche mitsamt ihrem restlichen Inhalt bekommen wir natürlich ausgehändigt.
Die COSTA PACIFICA am Ostseekai in Kiel.
Dass am Abreisetag das Schiebedach über dem Sonnendeck der COSTA PACIFICA trotz herrlichstem Sommerwetter über Kiel geschlossen und die Wasserrutsche ohne Wasser ist, findet das Pubertier unverständlich, womit es allerdings in guter Gesellschaft ist. Wohlwollend nimmt es aber zur Kenntnis, dass die Menü-Bestellung im Restaurant am Abend nicht mehr auf kleinen Zetteln notiert wird, sondern in eine Art Mini-Tablet eingegeben wird. Klemmbrett und Stift sind schließlich sowas von 20. Jahrhundert. Nur an die geringe Auswahl vegetarischer Speisen muss sich das Pubertier erst noch gewöhnen. Während Papa heute (kulinarisches Thema: Ligurien) zwischen Oktopus, Fisch-Ravioli und Knoblauch-Kaninchen wählen kann, bleibt dem armen Pubertier kaum mehr als Nudeln mit Tomatensauce. Der Italiener ist eben kein Vegetarier.
Im vorderen Pool ist dank Schiebedach bei jedem Wetter Familien-Badespaß garantiert.
Am ersten Reisetag, einem Seetag zwischen Kiel und Gdynia, ist noch alles wie auf jeder Familien-Kreuzfahrt. Wir gehen morgens zusammen frühstücken, entspannen vormittags am und im Pool, machen nach dem Mittagessen einen kleinen Spiele-Nachmittag, und selbst als abends ein Musik-Act auf dem Programm steht, kommen die Kinder ohne zu murren mit. (Was aber auch an der schaurigen Darbietung deutscher Schlager gelegen haben mag, an denen sich die italienischen Bordmusiker am Nachmittag auf dem Pooldeck versucht hatten.) „Beatlemania“ heißt das Motto, und die „Location“, wie man neudeutsch sagt, „Rock around the Clock Lounge“. Das passt, schließlich ist die COSTA PACIFICA das „Nave della Musica“, das Schiff der Musik. Und der Beatles-Mix solide dargeboten, das Programm macht uns allen vieren Spaß. Aber ist es nicht gerade erst gestern gewesen, dass wir unser Kind zu „Hey Jude“ mühevoll in den Baby-Schlaf gesungen haben? Oder ist das jetzt tatsächlich schon 15 Jahre her? Erinnerungen werden wach, auch an die gemeinsamen Kreuzfahrten, die wir mit unseren Kindern unternommen haben. Seine erste Kreuzfahrt hat unser Pubertier als Vierjähriger mit der MSC OPERA unternommen. Auf der COSTA VICTORIA hat es anschließend im zarten Alter von fünf Jahren bei Seegang im Kinderspielzimmer Schaumstoff-Fußball gespielt, sich mit sechs auf der VISION OF THE SEAS widerwillig zum Piraten schminken lassen und als Siebenjähriger unter griechisch-italienischer Anleitung ein Kreuzfahrt-Scrapbook gebastelt. Und nun? Guckt es am Abend plötzlich neidisch zu den übrigen Teenagern hinüber, die auf der Balustrade des nun wieder überdachten Pooldecks die Tischtennisplatten und Kicker dauerbelegen.
Auf der Balustrade über dem Pooldeck stehen Tischtennisplatten und Kicker vor allem dem jugendlichen Bordpublikum zur Verfügung.
Der erste Hafen der Kreuzfahrt ist das polnische Gdynia, ein Spaziergang durch die Altstadt von Gdansk steht auf unserem Programm. Allerdings nehmen wir den falschen Zug dorthin. Zum Glück findet unser Pubertier dank Google Maps den richtigen heraus und lotst uns am korrekten Umsteigebahnhof hinaus. Puh. Die alte Hansestadt Danzig findet dann jedoch nur bedingt Anklang beim mitreisenden jugendlichen Publikum. Das Pubertier verspürt bereits gegen Mittag wieder Hunger und will (nach dem vermutlich teuersten Smoothie Polens) zurück zum Schiff. Dem kleinen Bruder hingegen haben es die Tretboote angetan, mit denen man Danzig ebenfalls zu Fuß, nur eben auf dem Wasser unsicher machen kann. Papa versucht derweil, dem Nachwuchs eine „normale“ Hafenrundfahrt schmackhaft zu machen, scheitert damit jedoch trotz ausreichender Zloty-Reserven kläglich. Am Ende geht es tatsächlich vorzeitig zurück zum Schiff, das Pubertier hat gewonnen. Und muss auch nicht verhungern, denn am Büffet gibt es immer etwas Passendes für ihn. Sogar Vegetarisches.
In Klaipeda am nächsten Tag trennen wir uns dann zum ersten Mal. Papa lockt nach einem weiteren Altstadt-Bummel mit der Aussicht auf den weißen Traumstrand auf der Kurischen Nehrung, aber der damit verbundene Gewaltmarsch ist nicht jedes Kindes Sache. Sonderbarerweise möchte das Pubertier diesmal aber mitkommen, während der kleine Bruder dankend ablehnt (und mit Mama zurück an Bord geht). Nanu, ausgerechnet die heile Familienwelt aus Sandburgen, Wellen und Strandtennis bekommt den Vorzug vor Wasserrutsche, Büffet und Chillen im Liegestuhl? Die Wege des Pubertiers sind unergründlich. Für eine halbe Stunde gehen wir so aber wenig später tatsächlich zusammen am Strand spazieren – Papa barfuß und in der Brandung bald bis zu den Knien nass, das Pubertier in sicherem Abstand und die Füße schön in die neuen, strahlend weißen Turnschuhe verpackt. Aber der gute Wille zählt.
Kontrastprogramm: Nur wenige Gehminuten von Klaipedas Innenstadt entfernt lädt der Sandstrand der Kurischen Nehrung Familien zum Baden ein.
Zwei Stunden später ist die Quality Time mit Papa aber wieder vergessen. Auf Wegen, die sich uns Erwachsensen nicht erschließen, hat das Pubertier inzwischen trotz zweier gemeinsamer Landgänge und diverser gemeinsamer Mahlzeiten mit uns Anschluss an Gleichaltrige an Bord gefunden. Einer davon kommt uns am Nachmittag auf dem Pooldeck-Balkon entgegen. „Kommst Du 17 Uhr?“ Mein Exemplar nickt; insbesondere männliche Heranwachsende kommunizieren gleichermaßen nonverbal wie minimalistisch miteinander (zumindest solange Erwachsene in der Nähe sind). Wohin mein Pubertier kommt und wer dann noch alles mit dabei ist, erfahre ich als Erziehungsberechtigter nicht, aber wahrscheinlich geht mich das auch einfach nichts mehr an. Mein Einverständnis wird ohnehin vorausgesetzt, und Mama ist gar nicht erst in der Nähe.
Erst kurz vor dem Abendessen sehen wir unser Pubertier wieder. Ob es vorhin in der Disko gewesen sei. „Ja“. – „Und worüber habt ihr Euch unterhalten? Peinliche Eltern?“ – „Ja.“ Aha. Der kleine Bruder studiert derweil seine Bravo Sport, die er am Ende der Kreuzfahrt vermutlich auswendig kennt. Er ist zwölf. Zu groß für das Kinder-Animationsprogramm, aber noch zu klein für die Aktivitäten der Teenager. Ein schwieriges Alter. Auf eine gemeinsame Runde „Saboteur“ nach dem Essen können wir uns aber einigen. Jedenfalls zu dritt. Unser Pubertier hingegen entdecken wir zu später Stunde eher zufällig in der Gesellschaft von drei anderen Exemplaren seiner Art auf dem Peppa Pig-Karussell neben dem Baby-Planschpool. Dort ist es abends schön schummrig, nervende Erwachsene sind keine in der Nähe, und wenn sich Kleinkinder auf einem Karussell amüsieren können, können das Jugendliche schon lange. Das darf dann auch ruhig die Gestalt von Peppa Pig haben. Merke: Pubertiere suchen und finden auf Kreuzfahrtschiffen die abstrusesten Stellen für ihre Zusammenrottungen.
Im Kleinkindbereich „Lido Squok“ sind zwischen den Figuren von Peppa Pig & Co. tagsüber Babys mit ihren Eltern zu Hause.
Vierter Tag: Riga. Ein weiterer gemeinsamer Stadtspaziergang, doch die Vorlieben gehen auch hier auseinander. Mama und Papa interessieren sich für die kleinen verwinkelten Kopfsteinpflaster-Gassen zwischen Dom, Petrikirche und Rathausplatz, das Pubertier hingegen für Sport- und Klamottengeschäfte. Ähnliches bei der Rückkehr aufs Schiff am Nachmittag: Während die Reederei 70 Jahre Costa feiert, verschwindet das Pubertier im Fitness-Center. Denn das gemeinsame Basketball-Match mit den anderen Pubertieren auf dem Sportplatz fällt leider aus – der einzige Basketball an Bord ist nicht aufgepumpt. Und vielleicht sollte Costa sein rundes Firmenjubiläum auch nicht gerade mit Sackhüpfen und Pferderennen begehen? Dann wäre womöglich auch die Generation U18 mit dabei.
Beim Gala-Abend ein paar Stunden später gibt sich das Pubertier wortkarg. „Ein Foto mit Papa?“ – „Nein.“ – „Darf ich fragen, was Ihr vorhin gemacht habt?“ – „Nein“. Dazu Augenrollen. Also nehmen wir unsere Nahrung schweigend auf. Papa, in einem Anzug, der von Jahr zu Jahr mehr spannt und demzufolge in regelmäßigen Abständen durch ein größeres Modell ersetzt werden muss, und das Pubertier in seinem Konfirmationsanzug, der ein Jahr nach der Initiationszeremonie an einigen Stellen schon wieder viel zu kurz ist. Es wächst, wie Jan Weiler so trefflich beobachtet hat, „wie Chinagras“. Außerdem schmeckt ihm sein Essen nicht. Eine Erdbeer-Bananen-Suppe und Spinat-Ricotta hatte sich das Pubertier erwartungsvoll bestellt. Und wer darf besagte Suppe nun im wahrsten Sinne des Wortes auslöffeln? Natürlich Papa. Da sagt das Pubertier jedoch brav „Danke“ und ist für einen Moment wieder das liebe kleine Kind von vor ein paar Jahren.
Allerdings nutzt es die vorfristige Beendigung seiner Mahlzeit für eine unilaterale Aufhebung der Tafel. Die Zeiten gemeinsamer Verdauungsspaziergänge nach absolviertem Abendessen sind nun also auch vorbei. Stattdessen trifft das Pubertier um 22:30 Uhr seinesgleichen, so viel immerhin bekommen wir noch aus ihm heraus. Ein festes Programm haben die Teenager an Bord aber nicht. Laut Aushang an der Tür des Squok Club, dem Kinderspielzimmer an Bord, treffen sich die Pubertiere um 23:00 Uhr in der Disko. Dorthin zieht es sie aber sowieso fast automatisch. Davon abgesehen, würde es aber auch vollkommen ausreichen, jedem Teenager zu Beginn der Reise eine Liste mit den Handy-Nummern der Gleichaltrigen auszuhändigen. Dann wird eine WhatsApp-Gruppe ins Leben gerufen, und das Bordleben der Pubertiere organisiert sich von selbst.
Das Bordprogramm für Teenager ist an der Tür zum Kinderspielzimmer angeschlagen. Man trifft sich überwiegend in der Disko.
Auf dem Pooldeck der COSTA PACIFICA tobt derweil die „Funniversary Party“, Costas pompöse Feier zu Ehren des 70jährigen Reedereijubiläums. Es gibt eine riesengroße Plastik-Torte, Eis-Skulpturen werden geschnitzt, und aus den Boxen dröhnt „Hot Stuff“ und „Daddy Cool“. Der Schreiber dieser Zeilen wähnt sich da bereits als „Daddy Uncool“, als ihm gegen Mitternacht plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippt. Es ist das Pubertier. Es möchte wissen, wann es heute Abend in der Kabine sein soll. Darauf kann es auf einer Kreuzfahrt in den Sommerferien natürlich nur eine Antwort geben: „Egal.“ Das Pubertier ist zufrieden und ich an diesem Abend zum ersten Mal auf einer unserer Kreuzfahrten nicht mehr der Letzte aus der Familie, der abends in der gemeinsamen Kabine ins Bett geht.
Die „Funniversary-Party“ auf dem Pooldeck. Für derlei Veranstaltungen bedarf es natürlich keiner ausdrücklichen Einladung an die Teenager an Bord.
Allerdings steht am nächsten Morgen auch mein obligatorischer Foto-Rundgang durch das Schiff an, der nur Sinn macht, wenn die 3.500 Passagiere nicht wie später am Tag Dekoration, Einrichtung und Kunstwerke verstellen. Früher ist das Pubertier auf diese Streifzüge mitgekommen, Papa bei der Arbeit zu beobachten, war schließlich aufregend. Doch auch diese Zeiten sind vorbei. Als ich gegen 08:30 Uhr von meiner Foto-Tour in die Kabine zurückkehre, ist das Pubertier gerade erst wieder zum Leben erwacht. Und begrüßt mich mit den Worten: „Tschüss Papa, ich geh’ frühstücken.“ Mit seinesgleichen, versteht sich. Adé, Vater-und-Sohn-Gespräche über frischen Brötchen, Obstsalat und Tee. Die nächste Stufe ist dann wahrscheinlich, dass er auch nicht mehr mit uns zusammen an Land gehen möchte.
Soweit ist es heute, in Helsinki, aber noch nicht. Dafür gibt es Streit über den richtigen Weg in die Innenstadt. Die COSTA PACIFICA hat in Jätkäsaari festgemacht, dem neuesten, aber auch am weitesten abgelegenen Kreuzfahrt-Anleger der finnischen Hauptstadt. Papa möchte trotzdem am liebsten am Wasser entlang zum Südhafen, wo die Barkassen zum Inselzoo ablegen. (Auf dessen Besuch hatten wir uns bereits vorab geeinigt.) Dieser (Um-)Weg dauert aber eine Weile. Also befragt das Pubertier sein Smartphone und verweist auf eine nahegelegene U-Bahnstation, die wir jedoch nicht finden. Straßenbahnen fahren dagegen im Zweiminuten-Takt an uns vorbei, doch wer weiß schon, wo die wieder hinfahren. Mama ist inzwischen alles egal, und der kleine Bruder hat sowieso nur sein geplantes Rendezvous mit den Polarfüchsen im Kopf, egal welcher Weg uns dorthin führt. Am Ende einigen wir uns salomonisch auf einen strammen Fußmarsch direkt in die Innenstadt – ohne Meerblick, aber auch ohne weitere wertvolle Minuten mit der Suche nach nicht vorhandenen U-Bahnstationen zu verschwenden. Demokratie in der Familie kann anstrengend sein!
Der anschließende Zoo-Besuch versöhnt uns aber wieder, und Helsinki bei 30 Grad und tropischer Sonne hat man auch nicht alle Tage. Dem Pubertier genügt dies aber nicht. Zurück an Bord, verbringt es den Abend ohne uns mit Fußball-, Volleyball- und Basketball-Spielen. Davon zeugt ein klatschnasses T-Shirt auf dem Badezimmer-Fußboden, das der Heranwachsende bei seiner nächtlichen Rückkehr in der Nasszelle zurückgelassen hat. Wie gut, dass wir für St. Petersburg morgen keinen der ganz frühen Ausflüge gebucht haben.
Der Sportplatz der COSTA PACIFICA gleich hinter dem Schornstein ist bei Teenagern beliebt und verfügt auch über eine kleine Tribüne.
Ob dem Pubertier die Stadt an der Newa gefallen hat, erschließt sich uns nicht. Lange Busfahrten zusammen mit Dutzenden von Landsleuten, die obendrein noch älter sind als Mama und Papa, finden aber vermutlich genauso wenig seine Zustimmung wie der folgende Spaziergang durch die rappelvolle Innenstadt – immer hinter der Kelle unseres Führers Alexej hinterher, damit wir uns und ihn nicht verlieren. Auch als Papa Mama einen Kuss gibt, ist das „Peinlich!“, und Papa bekommt von dem Pubertier einen missbilligenden Klaps auf die Schulter dafür.
Das neue Fußballstadion von St. Petersburg weckt dagegen durchaus das Interesse des Pubertiers, genauso die anderen Kreuzfahrtschiffe, die heute im Hafen neben uns liegen. NORWEGIAN BREAKAWAY, SERENADE OF THE SEAS, MEIN SCHIFF 1 – eines größer als das andere. Die eigene Begeisterung dafür an den Erstgeborenen weiterzugeben, hat aber leider nicht geklappt. Nach einer anfänglichen Euphorie vor ein paar Jahren ist das Pubertier vor kurzem auf Flugzeuge umgesattelt und unter die Planespotter gegangen. Ob es darüber mit seinesgleichen in der Disko redet? Man weiß es nicht. Trotzdem verabschiedet es sich nach dem Abendessen mit den Worten „Bis nachher. Oder morgen früh.“ von uns. Eine unserer anarchischen Gutenachtgeschichten, auch diese eine innerfamiliäre Kreuzfahrttradition, gibt es heute Abend also eher nicht, und auch die Canasta-Karten haben wir wohl ganz umsonst auf die Reise mitgenommen.
Das neue Fußballstadion von St. Petersburg mag so manchen Jugendlichen mehr begeistern als die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt.
„Peinlich!“ heißt es auch am nächsten Tag, als ausgerechnet Papa zusammen mit dem Pubertier und anderen Vertretern der Generation U40 die Wasserrutsche ausprobiert. Dabei muss selbst Mama angesichts der imposanten Bugwelle, die ihr Mann im Auslaufbereich produziert, diplomatisch von einer „grandiosen Erscheinung“ sprechen. Nun gut, überlassen wir die Wasserrutsche also lieber wieder den Pubertieren. Genau andersherum verhält es sich hingegen beim abendlichen Kapitänscocktail. Auch der war früher ein „Must see“ für die ganze Familie, immerhin flößte der Kapitän den lieben Kleinen mit seiner Uniform gehörig Respekt ein. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nicht mal Mama will sich das lange Schlangestehen und das Warten auf die spärlichen warmen Worte antun und ist diesmal wohlweislich auf der Kabine geblieben. Und das Pubertier? Hat sich nach dem Auslaufen sowieso fürs erste wieder von uns verabschiedet. Bis zum Abendessen. „Vielleicht.“
Die Wasserrutsche an Bord moderner Kreuzfahrtschiffe wird traditionell vor allem von Kindern und Jugendlichen frequentiert.
Nach einer Woche an Bord, auch Tallinn und Stockholm liegen inzwischen hinter uns, kommunizieren wir nur noch in Form von Schmierzetteln auf dem Kabinentisch mit unserem Pubertier. „Sind am Innen-Pool“ steht darauf oder „Bin noch Basketball spielen.“ Manchmal läuft man sich an Deck über den Weg, manchmal sieht man das Pubertier aber auch nur von weitem. Meistens steht oder sitzt es dann mit seinesgleichen in der Nähe von Tischtennisplatten, Kickern oder anderem Sportgerät. Auf sich aufmerksam machen darf man dann natürlich nicht, denn das wäre wieder hochgradig „peinlich“. Das Pubertier auf Kreuzfahrt versucht vielmehr nach aller Kraft den Eindruck zu erwecken, als reise es ohne Begleitung. Da ist es praktisch, dass es sich in Sachen Essensbeschaffung und Sauberhalten der eigenen Schlafstelle an Bord tatsächlich um nichts zu kümmern braucht. Und so bekommt es am letzten Reisetag auch nicht mit, wie Mama in der Kabine immer wütender wird, weil sie den Koffer des Pubertiers packen muss, da dieses mitnichten geruht, in seine Höhle zurückzukehren. „Dann fährt er morgen eben in seinen stinkenden Sachen zurück nach Hause“, entfährt es der Mutter des Pubertiers, welches auch dann noch nicht in den Schoß der Familie zurückkehrt, als diese schlafen geht. Nur Papa unternimmt noch einen letzten Versuch, das Pubertier aufzustöbern und einzufangen. Doch da sich dieses, scheu und clever, wie es ist, bereits vorhin einem ersten Ortungsversuch entzogen hat, ist die Hoffnung gering, das Exemplar in den Weiten des Schiffes tatsächlich wiederzufinden. Doch siehe da – der Forscher hat Glück: Er entdeckt das Pubertier beim Gang über die Arkade auf Deck 5. Fröhlich ist es, es albert mit zwei weiblichen Exemplaren seiner Art herum, man macht Handy-Fotos und genießt offensichtlich die Abwesenheit von Erziehungsberechtigten. In dieser Situation aus der eigenen Deckung zu kommen und das Pubertier wie von Mama befohlen an seinem Schlafittchen in die Kabine zu zerren, wäre natürlich das Falscheste, was man als Pubertier-Vater tun kann. Stattdessen zieht dieser sich diskret zurück, speichert die Szene für die spätere Berichterstattung an die Dame des Hauses ab und macht sich nun selber schlaffertig. Und freut sich für das Pubertier. Es wird erwachsen! Die Standpauke von Mama wird es dafür morgen wohl in Kauf nehmen, und Schlaf bzw. Bahnfahrt in seinem einzigen verbliebenen (stinkenden) T-Shirt auch.
Die Disko „Fever“ an Bord der COSTA PACIFICA. Hierher finden die Kinder und Jugendlichen an Bord ganz von alleine.
Ob unser Pubertier auch im nächsten Jahr noch einmal mit uns auf große Fahrt geht? Wer weiß. Vielleicht war dies ja bereits die letzte Kreuzfahrt mit ihm, denn womöglich verreist es demnächst lieber mit seinesgleichen als mit Mama und Papa. Vielleicht aber ist diese Urlaubsform am Ende doch nicht ganz so uncool. Ist der kleine Bruder nicht ganz so nervig und sind Mama und Papa auch nur halb so peinlich wie befürchtet. Dann geht es auch im nächsten Sommer wieder auf eine Reise, die garantiert wie keine andere ist: eine Kreuzfahrt mit dem Pubertier!
Der Tag geht zu Ende. Die Zeit gemeinsamer Kreuzfahrten mit den eigenen Kindern auch?
(Gastautor: Kai Ortel)