Elf Tage Metropolen der Ostsee: Mit der COSTA PACIFICA unterwegs zu alten Hanse- und modernen skandinavischen Großstädten
Die meisten großen Kreuzfahrtschiffe absolvieren ihre Ostseekreuzfahrten innerhalb von sieben Tagen. Die einen lassen Helsinki aus, die anderen Gdansk, wieder andere Riga. Die COSTA PACIFICA dagegen nimmt sich elf Tage Zeit – und läuft dabei eine baltische Metropole nach der anderen an.
Am schönsten ist es immer noch auf dem Sonnendeck. Am vierten Tag der Reise, nachdem wir am frühen Abend Klaipeda verlassen und Kurs auf Riga genommen haben, mache ich es mir mit dem iPod im Liegestuhl gemütlich. Die zweite Sitzung im Restaurant ist noch lange hin, Frau und Kinder ruhen sich in der Kabine vom Landausflug aus, und das Unterhaltungsprogramm an Bord („Private Tanzstunden – Ihre Tanzlehrer erwarten Sie für Ihre Anmeldung und weitere Informationen“) kann man an einem herrlich sonnigen Tag wie diesem getrost links liegen lassen. Es ist hochsommerlich warm, am Himmel steht keine einzige Wolke, und auch Wind herrscht kaum, T-Shirt-Wetter also. Hatte ich diese Reise in den Norden gebucht, weil wir letztes Jahr im Mittelmeer so geschwitzt hatten? Dann ist der Plan gründlich daneben gegangen. Oder ist es der Klimawandel? Egal. Die Sonne scheint, auf dem iPod läuft irgendwo zwischen Lettland und Schweden Roxette (der Soundtrack zur eigenen Jugend), und für einen Moment sind die 3.500 übrigen Passagiere, das Abendessen und all die anderen Häfen, die wir in den nächsten Tagen noch anlaufen werden, ganz weit weg.
An einem sommerlichen Seetag ist das Sonnendeck Anlaufstelle Nr. 1 an Bord.
Erst als um 18 Uhr der Pool Attendant „klar Schiff“ macht und einen Liegestuhl nach dem anderen an seinen Schlafplatz räumt, muss auch ich umziehen. Mit meinem Buch setze ich mich in die Bibliothek „Imagine“, die an diesem Abend wie leergefegt ist. Kein Wunder, denn die erste Sitzung im Restaurant läuft bereits. Den Namen hat die Bordbücherei übrigens in Anlehnung an den gleichnamigen John Lennon-Song bekommen. Schließlich ist die COSTA PACIFICA „la nave della musica“ – das Schiff der Musik. An den Wänden, auf den Teppichböden und in der Dekoration wimmelt es von Noten, Musikinstrumenten und Violinenschlüsseln, und alle Decks sowie die meisten öffentlichen Räume an Bord sind nach musikalischen Themen benannt. Deck 2 ist das „Adagio Deck“, Deck 5 das „Swing Deck“, Deck 8 das „Ludwig Deck“ usw. Könnte es da für einen Raum auf einem Urlaubsschiff einen schöneren Namen als „Imagine“? „Imagine all the people living for today.“ Sogar das Repertoire von Elymore, jener begnadeten Gitarristin, deren Musik das Atrium beschallt, passt zum Moment. „Just like starting over“ singt sie verträumt, wenig später auch den Beatles-Klassiker „The Ballad of John and Yoko“. So darf es in den nächsten Tagen gerne weitergehen.
Die Bord-Bibliothek „Imagine“ ist ein gemütlicher Rückzugsort für ruhige Momente.
Alte Hansestädte
Begonnen hat alles vor drei Tage in Kiel. An Bord 1.800 Deutsche, 280 Österreicher, 300 Schweizer, 400 Italiener, 350 Franzosen sowie 370 Gäste anderer Nationalität – der Costa-typisch bunte Mix also. Die wichtigsten Durchsagen erfolgen daher in drei Sprachen – Englisch, Deutsch und Italienisch. Doch jede Sprachgruppe an Bord hat ihre eigenen Betreuer. Für die deutschen Gäste sind dies Miriam und Kathi, kennengelernt haben wir sie bisher aber nicht. Es ist bereits unsere fünfte Costa-Kreuzfahrt, da darf man auf Programmpunkte wie die Begrüßungsveranstaltung am Einschiffungstag gerne verzichten.
Der Ostseekai in Kiel ist während der Sommermonate Ausgangspunkt der Nordland-Kreuzfahrten der COSTA PACIFCA.
Auch in Sachen Hardware ist der Überraschungsfaktor gering. Wie waren in den letzten Jahren sowohl auf der COSTA FASCINOSA als auch auf der COSTA FAVOLOSA. Das Schwesterschiff COSTA PACIFICA ist weitgehend baugleich, wenn auch mit einem wichtigen Unterschied: Beide großen Swimmingpools auf Deck 9, der mittschiffs wie auch der achtern gelegene, lassen sich bei Bedarf mittels eines Magrodomes überdachen. Die COSTA PACIFICA ist daher prädestiniert für Reisen in jene Regionen, wo man auch im Sommer immer mit einem Regenschauer rechnen muss. Seit 2011 bereits verbringt die COSTA PACIFICA die Sommermonate in Nordeuropa, Kiel ist so etwas wie ihr zweiter Heimathafen. Eigentlich könnte sie längst COSTA BALTICA heißen, den Pazifik hat sie jedenfalls noch nie gesehen. Und wenn sie nicht in Nord- oder Ostsee unterwegs ist, ist sie entweder im Mittelmeer oder in Brasilien anzutreffen; jedes Jahr im Frühling kehrt sie dann mit einer Positionierungskreuzfahrt rund um Westeuropa nach Kiel zurück.
Der achtere Pool auf dem Lido Ipanema ist wie sein Pendant vorne im Schiff durch einen Magrodome vor schlechtem Wetter geschützt.
Die ersten beiden Häfen unserer Reise waren ein Traum. Nach einem höchst erholsamen Seetag ging es zunächst nach Gdynia, wo ein Vormittagsausflug in die alte Hansestadt Danzig auf unserem Programm stand. Dass man dort einen Vorortzug erwischen kann, der mitnichten in die Innenstadt, sondern zum Flughafen fährt, gehört dabei zu den kleinen Abenteuern, die man nur dann erlebt, wenn man eine Destination auf eigene Faust erkundet. Mit Hilfe von Google Maps und sprachkundigen Einheimischen stand aber dem geplanten Touristenprogramm aus Langem Markt, Krantor und Marienkirche am Ende nichts im Wege. Ebenso wenig dem heiß ersehnten Badevergnügen, denn am dritten Tag der Reise endlich hatte es sich offenbar bis zur Kommandobrücke herumgesprochen, dass man angesichts von 25 Grad und strahlendem Sonnenschein über Polen durchaus die beiden Schiebedächer über den Pools öffnen kann. Danke.
Die historische Altstadt-Silhouette von Gdansk (Danzig) mit dem berühmten Krantor.
Klaipeda nahm sich dagegen im Vergleich zu Gdansk und Gdynia geradezu beschaulich aus. Die historische Altstadt ist pittoresk, wer sich aber keinen Museumsbesuch oder eine Besichtigung der historischen Memelburg vorgenommen hat, hat sie sich in einer halben Stunde erlaufen. Wie gut, dass es vom Hafen aus nur eine zweiminütige Fährfahrt hinüber zur Kurischen Nehrung ist. Kaum auf der anderen Seite des Haffs ausgestiegen, ist man nämlich wie in einer anderen Welt. Plötzlich findet man sich in einem urwüchsigen Wald wieder, dessen Stille den Trubel an Bord der COSTA PACIFICA mit einem Schlag vergessen lässt. Nur alleine ist man nicht, denn eine kleine Karawane aus Einheimischen und Touristen zieht es den Waldweg entlang, bis das Ziel der Prozession in Sicht kommt: die Dünen und dahinter der sich gen Süden bis zum Horizont erstreckende Ostseestrand. Selten hat man einen Sandstrand so fein und sauber, selten einen Kreuzfahrt-Tag so frei von Sightseeing-, Shopping- oder Bus- und Bahnstress erlebt. Wir laufen barfuß am Strand entlang, das kalte Ostseewasser umspült unsere Knöchel, und rings um uns herum plantschen Kinder in den Wellen, bauen Sandburgen am Strand. Am liebsten möchte man noch länger bleiben, doch die COSTA PACIFICA wartet natürlich nicht.
Nur ein paar Fußminuten sind es nach einer kurzen Fährfahrt von Klaipedas Innenstadt zum Traumstrand auf der Kurischen Nehrung.
Am nächsten Morgen läuft unser Schiff Riga an, auf dieser Kreuzfahrt jagt ein Highlight das nächste. Die Stadt liegt nicht direkt an der Ostsee, nicht einmal direkt an der Rigaer Bucht, sondern ist mit dieser über den Fluss Daugava (zu deutsch: Düna) verbunden. Schon früh am Morgen säumen daher Passagiere die Reling, um das Einlaufen zu beobachten, auch wenn es auf dem Weg den Fluss hinauf zum Zentrum Rigas kaum mehr zu sehen gibt als den weitläufigen Industriehafen der Stadt (an Backbord) bzw. nichtssagende grüne Wiesen (an Steuerbord). Die Altstadt Rigas mit ihren engen Kopfsteinpflastergassen, historischen Backsteinbauwerken und kleinen Kunstgewerbe-Läden verzaubert einen dafür umso mehr. Doch auch für Überraschungen ist Riga gut: die Wanderausstellung von Buddy-Bären etwa, die diesen Sommer den kompletten Domplatz belegt; Bronzeskulpturen von Fabeltieren, die rings um den Dom herum drapiert sind; oder ein Trompeter, der spontan die Marseillaise zum Besten gibt, als eine Gruppe französischer Touristen bei ihm stehenbleibt. Und auch die Security vor Ort fällt etwas aus dem Rahmen: Der Wachmann am Tor zum Kai nämlich, der eigentlich die Bordkarten der Passagiere kontrollieren soll, ist in seinem Stuhl zusammengesunken und hält selig ein Nickerchen.
Die markanten Kirchtürme prägen wie schon zu Hanse-Zeiten das Stadtbild Rigas.
An Bord der COSTA PACIFICA steht das Tagesprogramm derweil unter dem Motto „70 anni di Felicità“ – 70 Jahre Glück. Nicht auf den Tag genau, aber immerhin vor rund 70 Jahren stach in Genua das erste Passagierschiff der damaligen „Linea C“ in See – die kleine ANNA C. Bereits im Juni 1948 folgte ihr die ANDREA C, so dass dieses Jahr gemeinhin als Geburtsstunde der Reederei Costa betrachtet wird. Und dieser Geburtstag wird im Jubiläumsjahr auf allen Schiffen der Costa-Flotte gebührend gefeiert: Auf den Speisekarten finden sich Gerichte, wie sie zur Zeit der Südatlantik-Liner der Reederei serviert wurden, den Ball mit den Offizieren hat man wieder eingeführt und sogar die Stammgäste gefragt, was sie noch aus der „guten alten Zeit“ wieder dabei haben wollen. Interessanterweise fiel die Wahl auf Deckspiele der einfacheren Art, die noch das bordeigene Entertainment bildeten, als es auf den Schiffen noch keine Diskotheken, 4D-Kinos und Theater gab. Und so steht auch auf der COSTA PACIFICA an diesem Juli-Nachmittag des Jahres 2018 plötzlich Sackhüpfen und Pferderennen auf dem Programm. Ein harmloser kleiner Spaß, doch leider finden sich auf dem Pooldeck nur drei Freiwillige dafür. Vor 50 Jahren war das bestimmt eine Riesengaudi, der Kreuzfahrt-Passagier des 21. Jahrhunderts ist mit derlei aber offenbar nur schwer aus der Reserve zu locken. Dann vielleicht das 70 Jahre Costa-Quiz in der Grand Bar Rhapsody? Da ist bestimmt mehr los – Großaufnahmen der alten Costa-Liner, nostalgische Schwarzweiß-Videos, Fragen zu Land, Leuten und Häfen. Doch nichts dergleichen. Das Quiz findet in aller Stille an einem kleinen Tisch statt, auch hier haben sich nur ein halbes Dutzend Teilnehmer dafür eingefunden. Ein Mikrofon kommt nicht zum Einsatz, eine Leinwand auch nicht. Schade. Am Ende gibt es immerhin bescheidenen Applaus für den Sieger, aber aus dem Thema „70 Jahre Costa“ hätten man definitiv mehr machen können.
Sackhüfen – ein Spielspaß, den Costa anlässlich des 70jährigen Reederei-Jubiläums wieder an Bord eingeführt hat.
St. Petersburg und zurück
Die Sommersonne bleibt uns auch in Helsinki treu. 30 Grad in der finnischen Hauptstadt, Wahnsinn. Das entschädigt für ungezählte Tage, die der Autor hier in den letzten 25 Jahren frierend oder im strömenden Regen zugebracht hat (oder beides). 1993 umgab die Fähren rüber nach Tallinn noch der Hauch des Exotischen, für die EU war Finnland lediglich Beitrittskandidat, und bezahlt wurde mit Finnmark. Mittlerweile gehören die Fähren in die pulsierende estnische Hauptstadt zu den modernsten Europas, Passkontrollen gehören dank EU-Mitgliedschaft und Schengen-Abkommen der Vergangenheit an, und das Schiffchen zum Insel-Zoo auf der (Halb-)Insel Korkeasaari bezahlt man, wie so vieles andere, auf dem Marktplatz im Südhafen Helsinkis wie selbstverständlich mit Euro. Die Kinder hatten sich den Besuch des Zoos gewünscht, dessen Lage einzigartig ist und der sich auf Tiere der polaren und subpolaren Regionen spezialisiert hat. Wie wir müssen an diesem Juli-Tag aber auch die Sibirischen Tiger ganz schön schwitzen; erst die Fähre zurück in die Innenstadt verschafft wieder ein wenig Abkühlung.
Der pulsierende Südhafen Helsinkis ist Ausgangspunkt für die Hafenfähren zur Seefestung Suomenlinna sowie zum Inselzoo Korkeasaari.
In unserer Vierbettkabine auf der COSTA PACIFICA erwartet uns derweil bei unserer Rückkehr ein neuer Satz blauer Poolhandtücher auf dem Bett. Nicht dass wir die alten so verschwenderisch benutzt hätten, aber der Platz auf den Ablagen und in den Schränken ist nun mal begrenzt, da wandern die überzähligen Exemplare eben in ständig andere Winkel der Kabine. Mal sehen, wie viele es am Ende der Reise noch werden.
Innenkabine 6333 – hier rückte die vierköpfige Familie des Autors für die Dauer von elf Tagen zusammen.
Mit der Freizügigkeit und Unbeschwertheit Helsinkis ist es am nächsten Tag erstmal vorbei. Wir sind in St. Petersburg. Für viele der Höhepunkt der Reise, doch an Land kommt hier nur, wer einen der offiziellen Bord-Ausflüge gebucht hat oder ein individuelles Touristen-Visum mitsamt Einladung vorweisen kann. Außerdem liegt dem Tagesprogramm ein „Security Advice“ von Carnival Maritime bei, der für Schiffs- und Passagiersicherheit zuständigen Flottenzentrale von Costa und Aida. Eine „latente Gefährdung durch Anschläge mit terroristischem Hintergrund“ bestehe in der Newa-Metropole, und wir sollen auf öffentlichen Plätzen bitte aufmerksam sein. Gewarnt wird auch vor Taschendieben und Kleinkriminalität. Einen Ausflug haben wir aber natürlich trotzdem gebucht. Diesmal geht es jedoch nicht wie beim letzten Mal per Boot durch die Stadt, sondern zu Fuß. „Spaziergang in Sankt Petersburg und Metrofahrt“ nennt sich die Exkursion, und beide Teile davon haben ihre Tücken. Denn als ob die City St. Petersburgs nicht nur ohnehin schon derart voller Touristen wäre, dass das Vorwärtskommen mühsam ist, steckt die Stadt auch noch in den Vorbereitungen für die in vier Tagen beginnende alljährliche Flottenparade auf der Newa. Diverse Zugänge zum Flussufer sind abgesperrt, überall werden Tribünen und Boxentürme aufgebaut, Wege und Straßen umgeleitet.
Auf dem Platz vor dem Winterpalast in St. Petersburg wird Geschichte in Form von alten Kostümen und Pferdefuhrwerken lebendig.
Und auch die Fahrt mit der St. Petersburger Metro (Achtung: tief!) gleicht einem kleinen Abenteuer, trotz orts- und sprachkundigem Führer. Denn wir erwischen die Spätnachmittags-Rushhour – mit rappelvollen Zügen wie in Berlin, London oder Paris. Am Ende ist jedoch wie durch ein Wunder niemand verloren gegangen, als uns die Katakomben an der Station Sportivnaya wieder ausspucken. Gleich gegenüber liegt das alte Fußballstadion Petrowski, und auch sein neues Pendant passieren wir während der Busfahrt zurück zum Schiff. „Unser BER“, nennt es Aleksey schmunzelnd. Baubeginn war 2007 gewesen, die Eröffnung für 2009 geplant. Fertig wurde die Arena schließlich 2017, und statt der ursprünglich veranschlagten 230.000 € hat sie am Ende fast 1,4 Milliarden € gekostet. Dreimal die COSTA PACIFICA, sozusagen.
Das neue St. Petersburger Fußball-Stadion wurde direkt an der Newa-Mündung gebaut und erst kurz vor dem Confed Cup 2017 fertig gestellt.
Die übernachtet an diesem Abend im 2011 fertig gestellten neuen Passagierhafen, welcher auf neu gewonnenem Land errichtet worden ist. Die Umgebung desselben gewinnt keinen Schönheitspreis, doch das galt für den alten Anleger im Industriehafen noch viel weniger. Das soll uns aber nicht stören, denn den zweiten Tag in St. Petersburg verbringen wir an Bord – ein Seetag im Hafen, wenn man so will. Da darf nach einem ausgiebigen Frühstück zu allererst die Wasserrutsche nicht fehlen; sogar Papa lässt sich herab, diese zu rein wissenschaftlichen Zwecken einmal ausprobieren. Das Resultat ist je nach Befragtem entweder „peinlich“ (Sohnemann) oder „eine grandiose Erscheinung“ (Ehefrau), jedenfalls ist für Familienspaß auf dem Pooldeck gesorgt. Auch für eine entspannte Lesestunde unter dem Schiebedach ist an so einem Tag Zeit, ebenso für eine Spiele-Runde im schönen Kartenzimmer und für den einen oder anderen Snack am Büffet. Die Auswahl an letzterem ist allerdings begrenzt, auch wiederholen sich die wenigen Speisen nach einigen Tagen, da legen andere Reedereien mehr Kreativität an den Tag. Zum Abendessen gönnen wir uns heute eine Pizza, die ist bei Costa allerdings seit einigen Jahren zuzahlungspflichtig. Erhältlich ist sie an Bord ausschließlich in der „Pizzeria Pummid’Oro“, aber sie ist, nicht zuletzt dank des hausgemachten Mozzarellas, köstlich. Gleiches gilt für das Eis, das von den Dessert-Speisekarten in den Hauptrestaurants komplett verschwunden ist, das man dafür aber in großer Auswahl in der schönen „Gelateria“ auf Deck 5 bekommt. Die tägliche Inventur unserer Poolhandtücher ergibt an diesem Abend übrigens 14 Stück: 8 im Schrank, 4 auf dem Stuhl unter dem Schreibtisch und 2 benutzte im Bad. Am Ende der Reise machen wir einen Handel damit auf!
Die Pizzeria Pummid’Oro auf der COSTA PACIFICA ist farbenfroh in den italienischen Nationalfarben Grün, Weiß und Rot gehalten.
Als die COSTA PACIFICA St. Petersburg am Abend verlässt, beginnt bereits der lange Rückweg nach Kiel. Doch noch stehen mit Tallinn und Stockholm zwei weitere Highlights auf unserem Reiseprogramm, außerdem steigt heute Abend auf dem Pooldeck die „White Night“. Auch die ist fester Bestandteil einer jeden Costa-Kreuzfahrt und hat neben lauter Discomusik und einem Wettbewerb im Eisskulpturen-Schnitzen auch zwei halbnackte tätowierte Tänzer zu bieten, die Stimmung ist entsprechend ausgelassen. Tragischerweise kollidiert das Ereignis mit einer totalen Mondfinsternis über Nordeuropa, die (obwohl in keinster Weise im Tagesprogramm vermerkt) zum selben Zeitpunkt mehr Schaulustige auf die Außendecks zieht, als der Reederei lieb sein dürfte. Zu allem Ärger ist das lange Warten auf das astronomische Großereignis aber umsonst, denn der blutrote Mond bleibt im abendlichen Dunst beharrlich hinter einem dicken Wolkenschleier verborgen.
Die „White Night“ auf dem Pooldeck gehört zu den festen Institutionen einer jeden Costa-Kreuzfahrt.
Time to say Goodbye
Die estnische Hauptstadt Tallinn darf auf keiner Ostsee-Kreuzfahrt fehlen, entsprechend gut besucht sind die Kreuzfahrtkais der Stadt in den Sommermonaten. Doch wir haben Glück, heute ist mit uns nur ein weiteres Schiff da, der Bummel durch die historische Altstadt fällt also verhältnismäßig entspannt aus. Auch für einen Gang am Fuße der alten Stadtmauer ist Zeit, sogar für ein kurzes Innehalten am Denkmal für die Toten der ESTONIA. Gleich dahinter trägt eine Frau ihre Katze auf dem Arm über die Straße, Alltag in Tallinn. Abseits der Haupttouristenströme, aber eben doch mittendrin in der sympathischen alten Hansestadt.
Am Fuß der alten Stadtmauer Tallinns fühlt man sich unweigerlich um mehrere Jahrhunderte in der Zeit zurückversetzt.
Am Nachmittag frischt pünktlich zum Auslaufen der Wind gehörig auf, die COSTA PACIFICA kann nur mit Schlepper-Hilfe ablegen. Zum ersten Mal seit Langem zeigen sich auch ein paar Wolken am Himmel, doch da haben die meisten Passagiere bereits ganz andere Sorgen. Heute steht nämlich nicht nur der letzte Gala-Abend der Reise auf dem Programm (20:45 Uhr), sondern auch der Club-Cocktailempfang (18:30 Uhr), die Show „Destiny“ im Stardust Theater (19:30 Uhr) sowie der Tanz mit den Offizieren (22:45 Uhr). Beim Cocktailempfang begrüßt Kapitän Antonio Modaffari seine Gäste in nicht weniger als fünf Sprachen – sogar auf Deutsch, das er mit etwas Mühe, aber unter großem Beifall in Lautschrift von einem Spickzettel abliest. Auch stellt er seine leitenden Offiziere vor, bevor er, eher Typ Seebär als Entertainer, die Bühne wieder verlässt. An unserem Tisch im „New York New York“-Restaurant werden wir dafür zur Feier des Tages mit Sekt verwöhnt – eine schöne Geste. Auch dass es heute Live-Musik, dargeboten von einer Violinistin, zur Begleitung gibt, ist prinzipiell eine gute Idee, nicht allerdings nach dem Motto „Je lauter, desto besser“. Schließlich ist der Lärmpegel im mehr als 1.000 Personen fassenden Speisesaal auch so schon hoch genug.
Das „New York New York“-Restaurant am Heck der COSTA PACIFICA ist eines der beiden großen Hauptrestaurants an Bord.
Voll wird es zu später Stunde auch beim Ball der Offiziere in der Grand Bar Rhapsody. Zwar gibt es hier zunächst mehr stille Beobachter als aktive Teilnehmer, aber das ändert sich schnell. Zumal im Gegensatz zu früher inzwischen auch weibliche Offiziere in den Reihen der Besatzung auftauchen. Überhaupt ist die COSTA PACIFICA nicht nur das Schiff der Musik, sondern auch der Frauenpower. Elymore und Giselle haben mit ihren tollen Stimmen weiterhin das Atrium bzw. die Wein-Bar fest in ihrer (musikalischen) Gewalt, Kreuzfahrt-Direktorin Erika führt Abend für Abend genauso gut gelaunt wie souverän durch das Unterhaltungsprogramm an Bord, und Guest Relations Managerin Maria ist zur Stelle, wenn es in Sachen Housekeeping, Service oder Kommunikation irgendwo hakt.
Ein weiterer Rückgriff auf die „gute alte Zeit“ ist anlässlich des 70jährigen Reederei-Jubiläums der Ball mit den Offizieren.
Was aber meistens nicht der Fall ist. Auch am vorletzten Tag der Reise klappt alles reibungslos. Stockholm ist so traumhaft wie immer, und ja – auch dort müssen wir noch einmal schwitzen, so heiß ist es. Immerhin ist Stockholm auf Schären gebaut, da geht es lustig rauf und runter in den Straßen. Vor allem, wenn man sich für seinen Bummel den Stadtteil Södermalm ausgesucht hat, der südlich der historischen Altstadt Gamla Stan liegt. Auch das Auslaufen am Abend könnte nicht schöner sein. Kaum ist das obligatorische „Time to say Goodbye“ (zum Glück in der rein italienischen Version) verklungen, lassen wir auf dem Bootsdeck Schäre für Schäre und Insel für Insel an uns vorbeiziehen. Davor schieben sich immer wieder kleine Segelboote, und auch ein Schönwetterwölkchen ist hier und da am Himmel dabei. Erst als die Inselfestung Oskar-Frederiksborg hinter uns liegt, die engste Stelle, die alle großen Schiffe in Stockholm durchfahren müssen, geht es runter zu Tisch 350 im Restaurant.
Bei der abendlichen Ausfahrt aus Stockholm präsentiert sich Schweden wie aus dem Bilderbuch.
Was sich dort an diesen Abend abspielt, hätte sich jedoch kein Filmregisseur besser ausdenken können. Das kulinarische Thema des Abends lautet Kampanien, der Autor dieser Zeilen bestellt daher neugierig den Backfisch „napolitana“. Der allerdings kommt nicht etwa in der erwarteten und bewährten Iglu-Form (quadratisch, praktisch, gut) daher, sondern „in toto“, wie der Italiener sagt. Fachgerecht ausgenommen zwar, aber eben noch mitsamt Flossen, Greten und Kopf, wobei letzterer fortan aus seinen toten Äuglein die Tischnachbarn anstarrt. Die wiederum, überzeugte Vegetarier und seit nunmehr zehn Tagen abends auf kaum mehr als Nudeln mit Tomatensauce abonniert, entdecken zur selben Zeit in ihrem eigenen Gericht kleine Hackfleisch-Klößchen, so dass der Gang nicht mehr wirklich als vegetarisch durchgeht. Unser fast entschuldigend vorgetragener Hinweis auf diesen Umstand sorgt allerdings dafür, dass unser Kellner sofort pflichtschuldigst seinen Chef, den Maitre d’, zu uns winkt. Der sich nun seinerseits wortreich entschuldigt und verspricht, unsere Beschwerde direkt an den Chefkoch weiterzuleiten. Au weia, hoffentlich wird der jetzt unseretwegen nicht gleich entlassen.
Dabei hat der Maitre d’ während seiner heutigen Schicht auch so schon alle Hände voll zu tun. Denn es ist italienischer Abend. Da wird getanzt, und zwar auch zwischen den Tischen: die Kellner mit ausgewählten Damen aus der großen Schar der Passagiere. Von denen sich manch eine trotz ihrer, nun ja, imposanten Leibesfülle nicht lange auffordern lässt. Und schon reißt die Dame vom Nebentisch, kaum dass sie stolz die Hand des Maitre d’ hält, mit ihrem Allerwertesten das halbe Mobiliar vom Tisch. Der Rotwein spritzt auf Tischtuch und Kleid, doch das veranlasst ihre Tischnachbarin nicht etwa dazu, die Kellner zu rufen, sondern die Scherben höchstselbst und per Hand vom Boden aufzulesen. Auf diese Weise mischt sich unter die Weinflecken schnell auch noch fröhlich der eine oder andere Blutstropfen. „No no!“ rufen die Kellner, doch da ist das Chaos bereits perfekt und Kleid, Tischtuch und Stimmung gleichermaßen ruiniert. Ohnehin rückt nicht weit vom Ort des Geschehens entfernt bereits die Polonäse an, die sich zu den rasselnden Klängen von „Volare“ forsch ihren Weg zur Restaurant-Mitte bahnt, während der Teil der Kellnerschaft, der nicht mit der Beseitigung des „Scherbengerichts“ beschäftigt ist, dessen ungerührt seine einstudierte Tanz- und Serviettenschwenk-Choreographie auf der Balustrade zum Besten gibt. Eines ist sicher: Diesen Abend wird keiner der Beteiligten so schnell vergessen!
Beim italienischen Abend laufen die Kellner im Rahmen ihrer Tanzdarbietung im Restaurant zu Höchstform auf.
Ganz anders dagegen unser letztes Abendessen an Bord, an dem Seetag zwischen Stockholm und Kiel. Wir speisen im Club Restaurant „Blue Moon“. Oben auf Deck 11 kann man hier beim Essen nicht nur den Sonnuntergang genießen, sondern sich auch miteinander unterhalten, ohne zu schreien. Missgeschicke passieren heute auch nicht, und zusätzlich zu den Gängen, die man ohnehin bestellt hat, bekommt man auch noch andere, welche die Kellner persönlich empfehlen. Anschließend ein letzter Spaziergang über das fast leere Pooldeck, ein letzter Streifzug durch die Shops, ein letzter Blick auf die Fotos im Atrium, und schon sind elf aufregende Tage an Bord wie im Flug vergangen. Nicht mit einem, sondern mit zwei weinenden Augen sagen wir daher nach knapp 3.000 Seemeilen: „Arrivederci, COSTA PACIFICA!“
Ende und Anfang: Die COSTA PACIFICA hat nach dem Ende ihrer Ostseekreuzfahrt am Kieler Ostseekai festgemacht.
(Gastautor: Kai Ortel)