Vier Tage Nordsee, bitte! Ein Plädoyer für mehr Mini-Kreuzfahrten

Die Osterferien. Zwei Wochen schulfrei für die Kinder, davon aber nur eine gemeinsam mit Mama und Papa. Dazu die Feiertage mit Familienfesten belegt, bleiben genau sechs Tage für einen Kurzurlaub; am Dienstag oder Mittwoch nach Ostern soll es losgehen. Eine Kreuzfahrt? Warum nicht; das Preisleistungsverhältnis ist bekanntermaßen unschlagbar, und alle Familienmitglieder kommen auf einem Schiff auf ihre Kosten. Diesmal sollen es nur eben nicht sieben, sondern nur fünf oder sechs Tage sein, da wird sich schon was Passendes finden lassen. Doch das ist wider Erwarten gar nicht so einfach.

Foto: Kai Ortel

Foto: Kai Ortel

Für Nordeuropa taucht in den gängigen Buchungsportalen für den fraglichen Zeitraum (07. – 12. April 2015) nur eine einzige Reise dieser Art auf, und die ist bis auf ein paar unerschwingliche Suiten bereits ausgebucht (AIDAluna ab/bis Hamburg). Also Südeuropa? Das würde zwar teure Flüge erfordern, aber vielleicht gibt es ja ein Schnäppchen. Doch auch hier – Fehlanzeige. Zwar bieten viele Reedereien inzwischen ganzjährig Kreuzfahrten im Mittelmeer an, doch dauern diese fast ausnahmslos exakt sieben Tage (oder länger) und beginnen und enden in den allermeisten Fällen samstags und sonntags.

Für die Reedereien ist das bequem – es erlaubt Routinen bei diversen Arbeitsabläufen an Bord, bei der Proviantierung und beim Bunkern. Und auch bei den Besatzungen sind Minikreuzfahrten unbeliebt, wer will sich schließlich schon alle drei, vier oder fünf Tage auf neue Namen und Gesichter einstellen? Dabei ist die moderne Kreuzfahrt in den 1960er und -70er Jahren überhaupt erst dadurch entstanden, dass NCL und andere Reedereien drei- und viertägige Karibik-Reisen ab Florida anboten, ehe sie auch ein- und zweiwöchige Kreuzfahrten in ihre Programme aufnahmen. Warum also funktioniert dieses Konzept in Europa nicht?

Eine Teilschuld trägt natürlich das Wetter. Wenn im Herbst in Europa die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, verlegen viele Reedereien ihre Schiffe ins sonnige Lateinamerika oder in die Karibik, wo sich bessere Auslastungen und Borderlöse erzielen lassen als in „old Europe“. Auch im Mittelmeer bieten zwar inzwischen eine Reihe von Reedereien ganzjährig Kreuzfahrten an (Aida, Costa, MSC, NCL, TUI Cruises), wenn auch meist einwöchige oder längere Touren. In Nordeuropa dagegen noch immer keine einzige. Dabei kann es am Wetter allein nicht liegen, schließlich ist auch schon so manche Weihnachtsmarkt-Kreuzfahrt im November und Dezember buchstäblich ins Wasser gefallen in den letzten Jahren. Die wenigen Angebote für Mini-Kreuzfahrten, die es gibt, sind oft schnell und lange vor dem Reisetermin ausgebucht; an einer mangelnden Nachfrage kann es also auch nicht liegen.

Ein Problem ist da schon eher die existierende Tonnage: Denn während die großen Reedereien sich in immer kürzeren Abständen mit immer größeren und spektakuläreren Schiffen gegenseitig überbieten, werden die kleineren, älteren Einheiten nicht nur immer unpopulärer, sondern auch immer kostspieliger im Unterhalt. Die sog. Mega- und Giga-Kreuzfahrtschiffe kommen jedoch für Mini-Kreuzfahrten kaum in Frage, da man ihre mannigfaltigen Bordangebote in nur drei oder vier Tagen in ihrer Gesamtheit praktisch weder kennenlernen noch auskosten kann. Auch die Auswahl geeigneter Häfen für diese riesigen Schiffe ist naturgemäß begrenzt. Darüber hinaus gelten in Nord- und Ostsee seit Anfang dieses Jahres auch noch verschärfte Emissionsobergrenzen für Schwefeloxide, was den wirtschaftlichen Betrieb vor allem älterer Schiffe wegen des teuren schwefelarmen Spezialdiesels zusätzlich erschwert.

Dabei sind die Möglichkeiten allein in geographischer Hinsicht fast unbegrenzt: In ganz Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Frankreich sind nicht nur auch kleinere Häfen mit Bahn und Bus gut erreichbar, sondern viele von ihnen stehen regelrecht Schlange, sich als alternative Ein- und Ausschiffungspunkte zu den hinlänglich bekannten Häfen zu etablieren. Und auch was die Destinationen betrifft, buhlen viele kleinere Nord- und Ostseehäfen, die bislang eher selten auf den Routenkarten der großen Reedereien gestanden haben, um Anläufe. In der Ostsee wären so z. B. Reisen ab/bis Lübeck, Wismar oder Stralsund nach Bornholm, Südschweden und/oder Öland und Gotland denkbar. Und auch in der Nordsee muss es nicht immer Amsterdam und Antwerpen sein. Wie wäre es stattdessen zur Abwechslung mal mit dem dänischen Esbjerg (45 Busminuten ins LEGOLAND), Hull (für York), Tilbury (für London) und den malerischen Fjordstädten Südnorwegens (Sandefjord, Kristiansand, Stavanger)?

Foto: Kai Ortel

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Das Gleiche in Südeuropa. Hier bietet zwar Celestyal Cruises (vormals Louis Cruises) schon seit Jahren drei- und viertägige Kreuzfahrten in der Ägäis an, die in der Tradition der Vorgängerreedereien Royal Olympic Cruises und Epirotiki zwischen März und November ab/bis Piräus durchgeführt werden und nach Mykonos, Patmos, Santorin und Kreta führen. Doch im Westlichen Mittelmeer, wo mit den Inseln Korsika, Sardinien, Sizilien und Malta nicht nur ebenso viele interessante Destinationen, sondern sowohl in Frankreich als auch in Italien gleich reihenweise geeignete Ein- und Ausschiffungshäfen zur Verfügung stehen, gibt es derzeit keine einzige Reederei, die außerhalb der Hochsaison vom Schema sieben- und zehntägiger Kreuzfahrten abweicht.

Dabei bietet es sich im Westlichen wie im Östlichen Mittelmeer geradezu an, eine drei- oder viertägige Mini-Kreuzfahrt mit einem Hotelaufenthalt zu verbinden, so dass sich die Schiffs- mit einer Städtereise kombinieren lässt. Das würde dem potenziellen Kunden gleichzeitig auch mehr Flexibilität bei der notwendigen Fluganreise ermöglichen. So könnte man eine Mini-Kreuzfahrt nach Sardinien und Sizilien mit einem oder zwei Tagen Rom oder Neapel verbinden, eine ähnliche Tour nach Korsika mit einem Aufenthalt in Marseille, Toulon, Cannes bzw. Nizza vorher oder hinter. Die Möglichkeiten sind immens; mehr Mut, liebe Reedereien, mehr Kreativität!

Interessanterweise sind es aktuell gerade die Kleinen der Branche, die sich an diesem Konzept eher versuchen als die Großen. Bedient wird dabei jedoch überwiegend der heimische nationale Markt, was Vorab-Information, Buchung und An-/Abreise nicht unwesentlich erschwert. So verkehrt die zypriotische SALAMIS FILOXENIA (Salamis Cruise Lines) auf mehrtägigen Mittelmeer-Kreuzfahrten ab/bis Limassol, die israelische GOLDEN IRIS (Mano Maritime) auf ähnlich kurzen Strecken ab/bis Haifa und die britische Fred. Olsen Cruise Lines ab Bristol oder Harwich – allesamt nicht gerade Häfen, die sich mit Bahn oder Billigflieger einfach erreichen lassen. Ironischerweise sind es aber gerade diese Reedereien, deren teils ältere Schiffe mit ihrer überschaubaren Größe ideal sind für Reisen von ebenso überschaubarer Dauer. Denn wer zu Ostern oder in den Herbstferien nur mal für ein paar Tage aufs Wasser möchte, braucht keine riesigen Kabinen, keine bombastischen Show-Lounges und vielleicht auch nicht mal ein A la Carte-Restaurant. Auf dem deutschen Markt hat neben Aida Cruises auch Phoenix Reisen diesen Markt erkannt und kann ihn mit passender Tonnage auch bedienen – so waren zuletzt die Kurzreisen der beliebten ALBATROS nach Helgoland heiß begehrt, und auch die AMADEA und ARTANIA kann man 2015 auf Mini-Kreuzfahrten von zwei und drei Nächten Dauer in Nord- und Ostsee antreffen (ab Mai).

Doch genau in dieser Schiffsgröße liegt auch ein Problem: Die Großen der Branche haben in den vergangenen Jahren derart massiv in Mega-Tonnage mit Kapazitäten für 3.,- 4.,- und 5.000 Passagiere investiert, dass sich der Betrieb kleinerer Schiffe zu vergleichbaren Preisen schlicht nicht rechnet – weder für die „big player“ noch für die „underdogs“ der Branche. Kreuzfahrtschiffe von der Größe einer GOLDEN IRIS liegen daher den Winter über inzwischen zumeist beschäftigungslos auf (wie z. B. die LOUIS AURA von Celestyal Cruises oder die Flotten von Thomson und Portuscale Cruises) oder werden lukrativ als Wohnschiffe an Offshore-Firmen verchartert (OCEAN ENDEAVOUR, OCEAN ATLANTIC, NORDSTJERNEN).

Und es ist auch durchaus nicht so, als hätte es in der Vergangenheit nicht bereits Versuche gegeben, informelle Mini-Kreuzfahrten am Markt zu etablieren. So hat EasyCruise (2005 – 2009) sogar die Ein- und Ausschiffung in jedem Anlaufhafen der Reise angeboten, und auch die Reedereien Birka Cruises (BIRKA PRINCESS) und Silja Line (SILJA OPERA) boten in der Ostsee eine Zeitlang mehrtägige Rundreisen ohne „richtiges“ Kreuzfahrt-Flair an. Alle drei sind jedoch mit ihren Konzepten gescheitert, genauso wie in den USA seinerzeit das Unternehmen American Family Cruises. Dort hatte man 1993 die COSTA RIVIERA so umbauen lassen, dass auf dem in AMERICAN ADVENTURE umbenannten Schiff ein komplettes Kabinendeck nur noch aus Familienkabinen für bis zu fünf Personen bestand. Trotzdem – nach einem Dreivierteljahr war auch diese Reederei bereits wieder am Ende.

Doch all dies liegt inzwischen zehn bis zwanzig Jahre zurück. Viele europäische Reedereien bieten inzwischen das sog. Interporting an, d. h. auf ein- und derselben Kreuzfahrt können italienische Gäste in einem italienischen Hafen, französische Gäste in einem französischen und spanische Gäste in einem spanischen Hafen ein- und ausschiffen. Der nächste Schritt wäre nun ein individuelles Interporting, wo Passagiere in einem Hafen ein- und nach drei, vier oder fünf Tagen Kreuzfahrt in einem anderen vorher festgelegten Hafen ihrer Wahl wieder aussteigen, wenn dort z. B. der Rückflug besonders günstig ist oder ein Hotel lockt, in dem man noch einen oder zwei Tage bleiben möchte. Sicherlich – für die Reedereien dürfte dies zunächst einmal ein organisatorischer Alptraum sein und dazu führen, dass an Bord hier und da für einen oder zwei Tage Kabinen leer stehen. Doch vielleicht wagt ja eine Reederei den ersten Schritt. Was Mini-Kreuzfahrten von drei, vier oder fünf Tagen Länge betrifft, gibt es jedenfalls eine Nachfrage, für welche die entsprechenden Angebote seitens der Reedereien noch ausstehen. Was den Autoren dieser Zeilen angeht, war die Suche nach einer passenden Mini-Kreuzfahrt in den Osterferien am Ende übrigens erfolglos.

Wir fahren nun für ein paar Tage nach Sylt.

 

(Gastbeitrag von Kai Ortel)