Seenotretter und Berliner Krankenhäuser bringen den virtuellen Notarzt hinaus auf See
Moderne Telemedizin-Technik soll bei medizinischen Notfällen auf See und auf Offshore-Windkraftanlagen künftig die Notfallversorgung für Patienten auf Nord- und Ostsee erleichtern. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) sowie die Berliner Universitätsklinik Charité und das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) planen dazu eine enge Zusammenarbeit. Am Donnerstag, 4. Dezember 2014, stellten die Beteiligten das Projekt in der Zentrale der Seenotretter in Bremen der Öffentlichkeit vor.
Die Zusammenarbeit “von der Weser bis zur Spree” haben die beiden Tochtergesellschaften der DGzRS und der Charité angestoßen: Während die DGzRS über ihre Gesellschaft für Maritimes Notfallmanagement (GMN) eine Notfallleitstelle Offshore-Windparks betreibt, hat die Charité-Tochter GHC Global Health Care moderne Telemedizin-Technik entwickelt. Sie bringt mittels drahtloser Kommunikation notärztliche Hilfe auch an weit entfernte Orte auf See. Dies gewährleistet telemedizinische Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch Ärzte der Charité und des auf Notfälle spezialisierten Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Berlin.
“Die Notfall-Koordinierung mit der jahrzehntelangen Erfahrung und Kompetenz aus Bremen verbindet sich mit der renommierten Medizinkompetenz aus Berlin und modernster Kommunikationstechnik zur umfassenden Lösung für Offshore-Windpark-Betreiber. Sie können damit den für sie verbindlichen Forderungen für den Betrieb ihrer Anlagen entsprechen”, sagt GMN-Geschäftsführer Kapitän Udo Helge Fox. Bei einem Notfall auf einer Offshore-Windkraftanlage greift zunächst der betriebliche Arbeitsschutz. Es liegt in der Verantwortung der Unternehmen, ein bedarfsgerechtes Schutz- und Sicherheitskonzept inklusive Rettungsmittel und lückenloser Meldekette vorzuhalten, um menschliches Leben und menschliche Gesundheit zu schützen.
Mittelfristig planen GHC, GMN, Charité, ukb und DGzRS, ihre Zusammenarbeit auf medizinische Notfälle auf See auszudehnen. “Die Seenotkreuzer der DGzRS sollen dazu mit entsprechender Technik ausgerüstet werden und diese – abseits von Notfällen in Offshore-Windparks – auch im ,klassischen’ Seenotfall einsetzen können”, kündigt DGzRS-Geschäftsführer Nicolaus Stadeler an.
Zum Einsatz kommen soll das von GHC entwickelte telemedizinische Notfallsystem “AescuLink”. Es unterstützt Ersthelfer wie die Seenotretter vor Ort und ist auch für Nicht-Mediziner einfach zu bedienen. “AescuLink” umfasst Echtzeit-Audio-Video-Kommunikation und Liveübertragung von Vitalparametern (3- und 12-Kanal-EKG-Daten, Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung des Blutes, Körpertemperatur etc.) über drahtlose Verbindungen. “Die von uns entwickelte Technik zeichnet sich durch einfache Bedienung, geringe Netzwerklast und Robustheit gegenüber Schwankungen der technischen Verbindungsqualität aus”, erläutert GHC-Geschäftsführer Dr. Trong-Nghia Nguyen-Dobinsky.
In Berlin ist die telemedizinische Beratung durch erfahrene Notärzte rund um die Uhr geplant. Dazu gehört, die übermittelten Vitaldaten und Bilder zu analysieren, kompetente Diagnosen zu stellen sowie an Ersthelfer wirkungsvolle Behandlungsanweisungen zu geben und deren Ausführung zu überwachen. Logistische Entscheidungen zur weiteren Notfallversorgung können so auf solider medizinischer Grundlage getroffen werden. Die Technik ermöglicht außerdem die Überwachung des Patienten nach der akuten Phase, also während des Transportes mit Seenotkreuzer oder Hubschrauber an Land.
Bildunterschrift: Moderne Telemedizin-Technik soll bei medizinischen Notfällen auf See und auf Offshore-Windkraftanlagen künftig die Notfallversorgung für Patienten auf Nord- und Ostsee erleichtern. Im Vordergrund die “Probanden”, die die Behandlungssituation auf einem Schiff simulieren (Marten Feddersen und Katarzyna Kupisz). Im Hintergrund der Arzt (Dr. Trong-Nghia Nguyen-Dobinsky), der im Notfall im Krankenhaus die übertragenen Daten (Bildschirm) analysiert und Anweisungen erteilt.
Über die Projektpartner
Die 1865 gegründete Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ist zuständig für den maritimen Such- und Rettungsdienst in den deutschen Gebieten von Nord- und Ostsee. Ihre 180 fest angestellten und mehr als 800 freiwilligen Seenotretter fahren mit 60 Rettungseinheiten Jahr für Jahr mehr als 2.000 Einsätze auf Nord- und Ostsee, koordiniert von der SEENOTLEITUNG BREMEN der DGzRS (MRCC = Maritime Rescue Co-ordination Centre). Die gesamte Arbeit der Seenotretter wird nach wie vor ausschließlich durch freiwillige Zuwendungen finanziert.
Die Gesellschaft für maritimes Notfallmanagement mbH (GMN), gegründet 2012, unterhält die Notfall-Leitstelle Offshore-Windparks als zentrale Anlaufstelle für die Organisation, Koordinierung und Durchführung des innerbetrieblichen Notfallmanagements der Betreiber. Zwar liegen die Offshore-Windkraftanlagen im SAR-Zuständigkeitsbereich der DGzRS (SAR = Search and Rescue, Suche und Rettung). Notfälle auf diesen festen Bauwerken im Meer fallen jedoch nicht unter die primären satzungsgemäßen Aufgaben der Seenotretter, da es sich nicht um Seenotfälle handelt. Die DGzRS hat deshalb die GMN als ihre Tochter gegründet, um die Abbergung und Versorgung verunfallter oder erkrankter Menschen auf Offshore-Windkraftanlagen zu koordinieren. Die Betreiber finanzieren dies und halten eigene Rettungsmittel vor.
Die 1710 begründete Charité zählt zu Europas größten Universitätskliniken. Dort forschen, heilen und lehren Ärzte und Wissenschaftler auf internationalem Spitzenniveau. Über die Hälfte der deutschen Nobelpreisträger für Medizin und Physiologie stammen aus der Charité. Weltweit wird sie als ausgezeichnete Ausbildungsstätte geschätzt. Die Charité verteilt sich auf vier Standorte mit rund 100 Kliniken und Instituten, gebündelt in 17 CharitéCentren. Unter den mehr als 13.000 Mitarbeitern sind 4.000 Ärztinnen und Ärzte, 250 Professorinnen und Professoren. Pro Jahr versorgt die Charité fast eine halbe Million Menschen ambulant oder stationär. Über 1.000 Forschungsprojekte verbinden innovative Grundlagenforschung und klinische Studien.
Das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) ist ein hoch spezialisiertes klinisches Zentrum zur Behandlung Schwerkranker sowie zur Rettung und Rehabilitation Schwerverletzter aus dem gesamten Bundesgebiet. Patienten aller Krankenversicherungen erhalten dort eine qualifizierte Versorgung und umfassende Betreuung bis zur Rückkehr in den Alltag. In Spezialdisziplinen wie der Therapie von Brand-, Rückenmark- und Handverletzungen belegt das 1997 eröffnete akademische Lehrkrankenhaus der Charité und klinische Zentrum der Alice-Salomon-Hochschule Berlin international eine Spitzenposition. Jährlich werden mehr als 87.000 Patienten behandelt.
GHC Global Heath Care GmbH, 2001 als Ausgründung der Charité geschaffen, will die notfallmedizinische Kompetenz der Berliner Universitätsmedizin auch dort zur Verfügung stellen, wo physisch kein Arzt anwesend ist. Dazu entwickelt GHC gemeinsam mit Universitäten, Hochschulen und Industriepartnern äußerst zuverlässige, robuste und auch durch Laien einfach zu bedienende telemedizinische Produkte und Systeme. Alle Produkte und Dienstleistungen von GHC wurden durch Charité-Mitarbeiter getestet.