Kai Ortel liefert zehn überraschende Argumente, mit Kindern auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff Urlaub zu machen.
Es mag zunächst paradox klingen: Warum sollte man eine Kreuzfahrt mit Kindern ausgerechnet auf einem kleinen Kreuzfahrtschiff verbringen? Womöglich noch mit einem, das im Schatten der neuesten Mega-Liner bereits unter der Rubrik „Klassiker“ läuft? Können nicht gerade die großen Schiffe alles bieten, was das Kinder- und Teenagerherz begehrt? Wasserrutschen, Klettergärten, Sportplätze, Kinderzimmer, Büffets und noch vieles mehr?
Natürlich können sie das. Aber ist das wirklich der Urlaub, den man mit dem Nachwuchs machen möchte? Die lieben Kleinen am Seetag im Kinderclub abgeben, nur um mit dem Partner allein zu sein? Die Kinder beim Landgang durch die Großstädte Europas schleifen, in der Hoffnung, irgendetwas dort wird sie schon interessieren? Ihnen womöglich freie Hand lassen bei der Bordkarte als Zahlmittel, damit sie sich allein gelassen auch einmal selber einen (natürlich alkoholfreien) Cocktail bestellen können? Weil dies heutzutage alles so einfach ist?
Viele Gründe sprechen für, mindestens genauso viele aber auch gegen einen Familienurlaub auf den großen Mega-Kreuzfahrtschiffen. Hier sind zehn Gründe, warum die Kreuzfahrt mit Kind und Kegel gerne auch mal auf einem kleinen, älteren Schiff stattfinden darf:
- Die Schiffsgröße an sich. Kinder finden sich auf einem kleineren Schiff naturgemäß schneller zurecht als auf einem größeren. Sie können also auch mal alleine gelassen werden, ohne dass man gleich fürchten muss, dass sie sich verlaufen oder verloren gehen. Im Zweifel bringt sie Ihnen ein freundliches Crew-Mitglied zurück auf die Kabine.
- Ein familiärer Service. Es ist kein Geheimnis, dass man auf kleinen Schiffen eher einen Draht zu seinem Kellner oder Kabinensteward findet als auf großen. Man läuft sich öfter über den Weg und knüpft schneller Kontakte und Freundschaften. Wenn dann noch Kinder mit im Spiel sind, geht dies nur noch umso schneller, schließlich haben auch viele Crewmitglieder Familien, über die sie gerne reden. Und schon ist das Eis gebrochen.
- Das Kind ist König. Viele ältere Semester bevorzugen erwiesenermaßen kleine ältere Schiffe gegenüber den großen Neubauten. Das heißt aber nicht, dass diese Schiffe nicht kinder- oder familienfreundlich wären – im Gegenteil. Wenn man mit dem eigenen Nachwuchs den Altersdurchschnitt an Bord senkt, kann man sich ziemlich sicher sein, dass man sich dort umso mehr über das „junge Gemüse“ freut – sowohl auf Seiten der Besatzung als auch bei den „Omis“ und „Opis“ unter den Passagieren.
- Keine Sprachbarrieren. Wie oft hat es auch der Autor dieser Zeilen erlebt, dass die eigenen Kindern am ersten Kreuzfahrttag erwartungsfroh das Kinderspielzimmer betraten, dorthin aber nie wieder zurückkehrten, weil sie sich einer italienisch- englisch- oder sonstwie anderssprachigen Übermacht gegenübersahen, bei der sie kein Wort verstanden? Kleine Schiffe dagegen sind selten multinational, so dass die Besatzung die Sprache der Kinder spricht. Und diese an Bord entsprechend schnell aufblühen und sich wohlfühlen.
- Sonderwünsche. Ein Blick hinter die Kulissen der Küche, ein Shakehands mit dem Zauberer aus der Show, womöglich ein Besuch beim Kapitän auf der Kommandobrücke? Was auf den großen Mega-Linern weder möglich noch erlaubt ist, macht man Ihnen bzw. Ihrem Nachwuchs auf einem klassischen Kreuzfahrtschiff fast immer möglich. Es sind am Ende diese besonderen Momente, die in Erinnerung bleiben, auch bei den Kreuzfahrern von morgen.
- Die typische Kreuzfahrt-Atmosphäre. An Bord vieler Schiffe, deren Passagierkapazität nicht nach Tausenden zählen, wird sie nämlich noch gepflegt. Den Cocktailnachmittag mit den Offizieren, die niedlichen Handtuch-Tiere abends auf dem Bett, möglicherweise sogar den altehrwürdigen „Captain’s Table“ – hier gibt es diese und andere Institutionen noch. Und glänzende Kinderaugen mit dazu, wo die lieben Kleinen auf anderen Schiffen möglicherweise nur die Pommes- und Burger-Station im mittlerweile 24 Stunden geöffneten Büffet-Restaurant kennengelernt hätten.
- Zeit für Quality Time. Natürlich können kleinere Schiffe nicht die Bordattraktionen der Mega-Liner bieten. Das muss aber kein Nachteil sein, im Gegenteil. Auch Kinder mögen Ruhe und Entspannung und liegen z. B. gerne einfach mal mit dem iPod am Pool oder mit dem Buch im Liegestuhl. Shopping-Arkaden, Fressmeilen und Videoleinwände dagegen verleiten manchmal nur zum Zeit-Totschlagen, wo man sich mit den Kindern genauso gut auch für einen Spiele-Abend an einen Tisch im Card Room oder in der Bordbibliothek zurückziehen kann.
- Interessantere Routen. Die großen Reedereien fahren mit ihren riesigen Schiffen meist immer dieselben Häfen an, schließlich sind sie oft an den Terminals beteiligt, und die wollen ausgelastet werden. Kleinere Schiffe dagegen kreuzen regelmäßig abseits der üblichen Routen – und besuchen überschaubare Städtchen mit ganz eigenem Charme, in denen man nicht fürchten muss, dass der Nachwuchs so wie im Overtourism-geplagten Gewusel von Barcelona oder Venedig verlorengeht. Auch längere Liegezeiten gönnen sich diese Schiffe oft, weil ihre Eigner nicht die immensen Baukosten der großen Schiffe durch Bar- und Shop-Umsätze auf See wieder reinholen müssen. Da reicht die Zeit an Land plötzlich auch mal für einen Badenachmittag mit den Kindern am Strand.
- Freie Kapazitäten. Die großen Kreuzfahrtreedereien vertreiben ihre Kapazitäten weltweit, entsprechend knapp ist manchmal die Verfügbarkeit gerade von Vierbettkabinen bei den neuesten Schiffen, mit denen jeder unbedingt fahren möchte. Reedereien mit nur einem oder zwei oftmals älteren Schiffen haben es dagegen traditionell schwer am Markt. Dafür sind dort öfter auch kurzfristig noch Kabinen frei – ein Vorteil, wenn man sich mit „Kind und Kegel“ nicht Monate im Voraus auf ein Schiff oder eine Route festlegen kann oder will.
- Der Greta-Effekt. Mittlerweile ist es nicht mehr chic oder hip, auf Kreuzfahrt zu gehen, sondern oft das Gegenteil – höchst uncool. Mit einem schwimmenden Plattenbau, der tonnenweise Schweröl verbrennt, Häfen anlaufen, die ohnehin schon überfüllt sind, und sich an Bord Tag für Tag von Fast Food ernähren? Was würde Greta Thunberg dazu sagen? Mit einem Schiffsklassiker kann man dagegen auch bei den Freunden aus ganz anderen Gründen punkten: Man war im kleinen Kreis unterwegs, hat kleine, weniger bekannte Orte besucht und dabei womöglich auch noch Einheimische kennengelernt oder Sehenswertes zu Gesicht bekommen, das in keinem Reiseführer stehen. Und das ist dann plötzlich wieder cool.
Alles nur graue Theorie, sagen Sie? Dann seien hier drei Anekdoten erzählt, die mir von den Kreuzfahrten mit meinen eigenen Kindern in besonders schöner Erinnerung geblieben sind – allesamt auf Schiffen erlebt, die zum Zeitpunkt der Reise weder besonders groß noch besonders neu waren.
Im Frühjahr 2007 waren wir mit der MSC OPERA in der Ostsee unterwegs. Den Flaggschiff-Status hatte das Schiff im Vorjahr an die MSC MUSICA abgegeben, und die riesige MSC FANTASIA war ebenfalls bereits im Bau. Mein jüngerer Sohn dagegen war gerade mal ein Jahr alt und mitsamt Kinderwagen, Babybett, Oma, Opa und Uroma an Bord. Und jeden Morgen der Star im Restaurant. Die Kellner wechselten sich damit ab, ihn zwecks Besserung der morgendlichen Laune auf den Schultern durchs Restaurant zu tragen, und auch beim Füttern halfen sie aus, wenn Mama und Papa auch einmal selber einen Happen essen wollten. Und als ich mein Gala-Dinner dem übermüdeten Spross zuliebe vorzeitig abbrach, bekam ich mein „Baked Alaska“ nachgereicht. Auf einem Extra-Teller, direkt auf die Kabine, wo Junior längst selig schlummerte.
Drei Jahre später standen wir auf der Kommandobrücke der LOUIS MAJESTY. Der Stolz der Louis Cruise Line war damals bereits knapp 20 Jahre alt, hatte Stationen bei zwei Reedereien und eine Verlängerung hinter sich, war aber mit 1.500 Passagieren immer noch bestenfalls mittelgroß. Eine Brückenbesichtigung? Kein Problem. Mit Kindern? Gerne doch. Schon ein paar Minuten nach unserem Eintreffen im Allerheiligsten des Schiffes hatte Kapitän Notarakis nicht ein, sondern gleich zwei Kinder im bzw. auf dem Arm – und steuert seine LOUIS MAJESTY quasi nebenbei durch die Straße von Gibraltar. Unten vor dem Bug: eine Schule Delfine, der Traum eines jeden Kreuzfahrers. Schwer zu sagen, wer von uns vieren in diesem Moment am glücklichsten war.
2017 waren beide Söhne Teenager, und die Skepsis gegenüber der „kleinen“ AIDAaura anfänglich groß. Aber da kannten wir die schöne Hemingway Lounge an Bord noch nicht. Jeden Abend machten wir sie zu unserem zweiten Zuhause neben Kabine 4184. Immer dabei: Die Canasta-Karten. Und egal ob in der Konstellation Eltern gegen Kinder, Vegetarier gegen Nicht-Vegetarier oder Langschläfer gegen Frühaufsteher – in diesen Stunden, die andere in der Disco oder an der Bar verbrachten, blieb für uns an Bord die Zeit stehen. Draußen vor der Tür zum Sonnendeck stand die Hollywood-Schaukel, zur Reling waren es nur ein paar Schritte, und weder Eltern noch Kinder wollten die „kleine“ AIDAaura mehr gegen irgendein anderes Aida-Schiff eintauschen.
Zögern Sie also nicht, den kleinen und mittelgroßen Kreuzfahrtschiffen eine Chance zu geben, wenn Sie Ihre nächste Seereise planen. Vor allem dann nicht, wenn Sie mit Kind und Kegel an Bord gehen. Denn Wasserrutschen, Bowlingbahnen und Großraumdiscos gibt es inzwischen in jeder Provinzstadt, von Menschenaufläufen, Shopping-Centern und Fast Food ganz zu schweigen. Auf See jedoch zählen die besonderen Momente, und die kann auch Ihren Kindern ein kleines Schiff viel eher bieten als ein großes. Wetten?