Kapitän Michael Müller ist Vormann des Seenotrettungskreuzers BERLIN, stationiert in Laboe am Ausgang der Kieler Förde. Der gebürtige Kieler ist 46 Jahre alt und seit mehr als 16 Jahren bei den Seenotrettern, seit gut zehn Jahren leitet er als 1. Vormann die Station Laboe.
1. Wie sind Sie zu den Seenotrettern gekommen und für wen ist der Einstieg im DGzRS-Team überhaupt geeignet?
Meine erste Erfahrung mit den Seenotrettern hatte ich als 14-Jähriger. Ich war mit einem Freund auf einem Angelkutter aus Laboe auf Angeltour. Der Freund wurde von einem Petermännchen, einem Fisch, gestochen und reagierte allergisch. Daraufhin wurde er von dem in Laboe stationierten Seenotkreuzer abgeborgen. Als ich später beruflich zur See gefahren bin, habe ich mich über die Arbeit der DGzRS informiert und mich entschieden, selber Seenotretter zu werden.
Erfahrung in der Seefahrt, Teamfähigkeit und die Bereitschaft, sich für das Leben anderer einzusetzen, sind meiner Ansicht Grundvoraussetzungen für Seenotretter.
2. Welche Ausbildung muss man haben, um Vormann und Festangestellter der DGzRS zu werden?
Für fest angestellte Seenotretter insgesamt gilt, dass sie ihre Patente „ausgefahren“ haben müssen, also Seefahrtserfahrung besitzen. Die DGzRS bildet selbst keine Seeleute aus, sondern gestandene Fahrensleute zu Seenotrettern weiter. Unsere Freiwilligen hingegen, auch die freiwilligen Vorleute, müssen keinen nautischen oder technischen Beruf haben, um ehrenamtlicher Seenotretter zu werden.
3. Sie sind als Vormann auf dem Seenotkreuzer BERLIN tätig, welche Aufgaben erfüllen Sie an Bord konkret und was macht Ihnen während der Arbeit am meisten Freude?
Als Vormann bin ich für alle Angelegenheiten unserer Rettungseinheit und der Station verantwortlich. Im Einsatz trage ich die Verantwortung für meine Besatzung. Aber: Seenotrettung ist Teamarbeit. Der Einzelne kann auf See allein wenig ausrichten. An Bord ergänzen wir uns gegenseitig, auch bei der täglichen Routine. Auch als Vormann bin ich reihum mit Kochen und Putzen dran, da gibt es keine Sonderstellung. Am meisten Freude machen mir erfolgreiche Einsätze. Helfen zu können, ist eine tolle Sache. Und natürlich bin ich einfach gerne mit unserem Seenotrettungskreuzer auf See unterwegs.
4. An welche Situation erinnern Sie sich noch gerne zurück und welche war die bisher kritischste?
In meinen Jahren an Bord der BERLIN gab es dramatische und lustige Situationen, von einer erzähle ich gern. Mehrfach hat uns eine bestimmte Segelyacht um Hilfe gebeten. Wir wussten immer genau, wohin wir laufen mussten, ohne dass der Skipper es uns sagen musste, weil die Crew immer an derselben Stelle auflief. Das änderte sich erst nach dem dritten Mal, nachdem wir auf der elektronischen Seekarte der Yacht den falsch eingezeichneten Wegpunkt geändert hatten. Danach haben wir von der Yacht nichts mehr gehört.
5. In welcher Beziehung steht die Crew zueinander, und was passiert, wenn ein Seenotretter krank wird?
Wir haben immer 14 Tage Dienst an Bord und anschließend genauso lange frei. Jede Woche wechselt die Hälfte der Besatzung, damit es immer jemanden an Bord gibt, der schon länger als die anderen da ist, das erleichtert die Übergaben, und es führt dazu, dass jeder mal mit jedem zusammen ist. Auf rund 30 Quadratmetern zwei Wochen miteinander zuzubringen, dazu muss man gemacht sein. Wer neu zu uns kommt, muss zunächst eine Probewoche absolvieren, um festzustellen, ob er menschlich ins Team passt. Wir fahren raus, wenn andere reinkommen – für zwischenmenschliche Differenzen ist an Bord kein Platz. Wir kennen einander und die gegenseitigen Macken oft besser, als die eigene Ehefrau. Auf der BERLIN sind rund um die Uhr immer vier Seenotretter an Bord, auf der Station gibt es neun Festangestellte und viele Freiwillige. Falls also einer von uns erkrankt, ist für Ersatz gesorgt.
6. Was macht aus Ihrer Sicht die DGzRS und was einen guten Seenotretter aus?
Grundprinzip der DGzRS ist die allseitige Freiwilligkeit. Das gilt auch für uns Festangestellte. Auch wir haben uns ja freiwillig entschieden, bei den Seenotrettern anzuheuern. Es gibt lediglich 180 hauptberufliche Seenotretter, aber mehr als 800 ehrenamtliche. Niemand kann angesichts der Gefahren hinausbefohlen werden. Die letzte Entscheidung, ob wir fahren, trifft der Vormann. Ich bin allerdings auch noch nie zu Hause geblieben, egal wie schlecht das Wetter war. Die Freiwilligkeit auf See spiegelt sich in der Freiwilligkeit der Finanzierung der DGzRS durch viele, viele regelmäßige Spender an Land wider. Sie sind das Rückgrat der Seenotretter. Ohne unsere vielen Freunde und Förderer könnten wir nicht hinausfahren. Vor diesen Menschen habe ich Respekt. Sie ermöglichen uns unsere Unabhängigkeit – seit 150 Jahren. Das ist sozusagen die Grundvoraussetzung für gute Seenotretter. Klar, Angst dürfen Seenotretter nicht haben, aber eine gehörige Portion Respekt vor der See ist nicht verkehrt, um die eigenen Grenzen zu kennen. Seenotretter fahren nicht übermütig aufs Meer hinaus. Man kann nicht gegen die Natur arbeiten, sondern nur mit ihr.
7. Verbringen Sie Ihren Urlaub auf See, z.B. mit Kreuzfahrten, oder bleiben Sie dann doch lieber an Land?
Ich verbringe meinen Urlaub sehr gerne in der Natur an Land an der Küste.
8. Haben Sie Tipps, die Sie gern frischen Seefahrern mit auf den Weg geben würden?
Gerade im Bereich der Freizeitschifffahrt plädiere ich immer wieder dafür, Rettungswesten zu tragen, sich über das Wetter und das Revier zu informieren und alle Crewmitglieder mit den an Bord befindlichen Rettungsmitteln vertraut zu machen.
9. Angenommen Sie hätten die Wahl, mit welchen Schiffen würden Sie die Welt bereisen?
Wenn überhaupt, dann nur mit einer eigenen Segelyacht zu zweit.
10. Vervollständigen Sie bitte folgende Sätze:
An guten Tagen … konnten wir Menschen auf See helfen.
Raue See … verbinde ich mit ungezähmter Natur.
Für die Zeit nach der Seenotrettung … widme ich mich meinen Hobbys: der Imkerei und Oldtimern.